11.03.2008
Der aus der Türkei stammenden Beschwerdeführerin wurde wegen ihres Kopftuches mit 19 zu 15 Stimmen durch den Einwohnerrat (Gemeindeparlament) Buchs (AG) entgegen dem Antrag des Gemeinderates die Einbürgerung verweigert. Sie wendete sich mit einer subsidiären Verfassungsbeschwerde ans Bundesgericht, welches die Beschwerde gutheisst und den Beschluss des Einwohnerrates zur neuen Beurteilung an die Gemeinde Buchs zurückweist. In einer Reihe weiterer Fälle zeigt dieses Beispiel, dass Einbürgerungen durch politische Gremien aus rechtsstaatlicher Sicht bedenklich sind.
Kurze Zusammenfassung
Anlässlich der Diskussion im Einwohnerrat wurde teilweise am Kopftuch der Frau Anstoss genommen. In der schriftlichen Begründung des Gemeinderates heisst es, dass die Beschwerdeführerin durch das Tragen des Kopftuches eine fundamentalistische Glaubensrichtung bezeuge. Der Schleier bzw. das Kopftuch sei nicht ein religiöses Symbol, sondern sichtbarer Ausdruck der Unterwerfung der Frau unter den Mann. Damit werde eine Ungleichbehandlung der Frau allein aufgrund ihres Geschlechts demonstriert. Das verstosse gegen Art. 2 und 8 der Bundesverfassung und damit gegen die Wertvorstellungen in der Schweiz. Die Assimilation der Beschwerdeführerin an die gesellschaftlichen und politischen Normen sei nicht gegeben.
Das Bundesgericht hält in seinen Erwägungen vorab fest, dass der Berufung auf Art. 15 BV und Art. 9 EMRK im vorliegenden Fall keine direkte und eigenständige Bedeutung zukomme, denn durch den angefochtenen Entscheid werde der Beschwerdeführerin an sich nicht versagt, ihre Religion frei zu wählen und auszuüben oder durch religiös bedingte Gewohnheiten wie das Tragen des Kopftuches zu bekennen. Soweit das Tragen des Kopftuches indes die Beschwerdeführerin im Einbürgerungsverfahren benachteilige oder einer Einbürgerung gar entgegen stehe, stelle sich typischerweise die Frage, ob eine von Art. 8 Abs. 2 BV untersagte Diskriminierung wegen eines religiösen Bekenntnisses vorliege. (Erw. 2.1)
Nach grundsätzlichen Ausführungen zur Glaubens- und Gewissensfreiheit sowie zum Diskriminierungsverbot (Erw. 2.2 – 3.1) legt das Bundesgericht dar, dass in casu das Tragen des Kopftuches durch die Beschwerdeführerin den Anknüpfungspunkt für die Verweigerung des Bürgerrechts bildete, und zwar sowohl in der Diskussion im Einwohnerrat als auch in der Begründung des Gemeinderates (Erw. 3.2). Es sei von keiner Seite behauptet oder dargelegt worden, dass die Beschwerdeführerin nicht hinreichend integriert sei. Das Tragen des Kopftuches von Frauen, die sich zum Islam bekennen, gelte als Ausdruck eines religiösen Bekenntnisses, daran würden auch die gegenteiligen Behauptungen im Einwohnerrat nichts ändern. Die Verweigerung des Bürgerrechts alleine aus diesem Grund stelle eine Ungleichbehandlung dar, welche sich durch keine qualifizierten, objektive Gründe rechtfertigen lasse. Dass im Tragen des Kopftuches teilweise eine Ungleichbehandlung von Frauen gegenüber Männern erblickt werde, könne nicht entscheidend sei, erweise sich das Tragen des Kopftuches in der Regel als wenig aussagekräftig und wertneutral. Ein konkreter Widerspruch mit unseren grundlegenden rechtsstaatlichen und demokratischen Wertvorstellungen sei hier weder behauptet noch nachgewiesen.
Kommentar / Einschätzung
Der Sachverhalt und die Gutheissung der Beschwerde sind aus rechtlicher Perspektive nicht besonders bemerkenswert. Schon gar nicht wurde hier ein Grundsatzentscheid getroffen. Interessant hingegen ist, dass das Bundesgericht sich auf eine Diskussion über den Inhalt der Religion einlässt. Dies wäre nicht notwendig gewesen; das Gericht hätte es bei der Feststellung belassen können, dass die Mehrheit des Einwohnerrates glaubte, im Tragen des Kopftuches eine fundamentalistische Glaubensbezeugung zu erkennen und dies ausschlaggebend war für die Einbürgerungsverweigerung, obwohl nicht konkret aufgezeigt werden konnte, weshalb die Frau nicht integriert sein solle. Für die Anrufung des Verbots der Diskriminierung wegen der religiösen Überzeugung genügt es, dass eine Person glaubwürdig darlegen kann, dass eine bestimmte Praktik zu ihrem Glauben oder ihrer Weltanschauung gehört; ob eine bestimmte religiöse Praxis zu einer bestimmten Religion gehört oder nicht, betrifft das inhaltliche Religionsverständnis, zu welchem sich das Bundesgericht in der Regel nicht äussert.
Auch bestätigt der Fall gemeinsam mit einer Reihe anderer, dass die Einbürgerung durch ein politisches Gremium aus rechtsstaatlicher Sicht problematisch ist. Erstens ist ein formal rechtlicher Entscheidprozess, der aber faktisch ein politischer ist, auf vielschichtige Art und Weise anfällig auf irrationale, opportunistisch ausgerichtete, nicht mehr auf rechtlichen Überlegungen basierende, willkürliche Reflexe. Aus grund- und menschenrechtlicher Sicht hingegen wäre es angebracht, Einbürgerungsmechanismen zu schaffen, die eine rechtmässige Entscheidung begünstigen. Zweitens erscheinen nachträgliche schriftliche Begründungen auf der Basis einer Diskussion in einem politischen Gremium etwas konstruiert. Ob diese (u.a. aus demokratietheoretischer und rechtsstaatlicher Sicht) den qualitativen Anforderungen an eine Begründung genügen, ist zweifelhaft und zudem oft nicht eindeutig feststellbar. Teilweise wirken die Voten inhaltlich diffus, oft werden unterschiedlichste Punkte aufgeworfen, im besten Fall durch einen oder zwei Votanten bestätigt und in der Regel schweigt die grosse Mehrheit dazu. Macht man mit dem Anspruch auf eine Begründung, die sich aus Art. 29 Abs. 2 BV und auch aus den menschenrechtlichen Vorgaben eines «wirksamen Schutzes und wirksamer Rechtsbehelfe» bzw. einer «wirksamen Beschwerde» herleiten lässt, ernst, gibt es kaum mehr stichhaltige Argumente für Einbürgerungen durch politische Organe.
- BGE 134 I 56 vom 27. Feb. 2008
- BGE 134 I 49 vom 27. Feb. 2008