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Repression statt Hilfe: Minderjähriger Flüchtling ohne Kleidung in Einzelzelle

25.03.2010

Ein 16-jähriger Flüchtling landet im November 2009 im Basler Ausschaffungsgefängnis Bässlergut. Während der mehrmonatigen Haft rebelliert er. Nach mehreren Zwischenfällen und einer Suiziddrohung steckt die Gefängnisleitung den jungen Tunesier ohne Kleider, Decken und Matratze über Nacht in eine Einzelzelle. Diese Massnahme ist in Anbetracht des Alters des Jugendlichen unverhältnismässig und beschneidet seine Grundrechte in einer Art, die ihn in seiner Entwicklung beeinträchtigt. Die verantwortlichen Personen im Bässlergut und bei den Basler Behörden haben mit dem Vorgehen gegen den Jugendlichen, der kein Verbrechen begangen hat, die Bundesverfassung sowie internationale Menschenrechtsabkommen ignoriert.

Die Geschichte von Aymen K.

Wie die Basler Zeitung am 13. März 2010 berichtet, flieht Aymen K. als 12-Jähriger vor seiner psychisch-kranken Mutter aus einer tunesischen Kleinstadt nach Tunis, wo er Arbeit findet. Doch ihn lockt die Aussicht auf ein besseres Leben in Europa. Ein Schlepper bringt ihn 2008 mit einem Schlauchboot nach Italien, wo ihn die Polizei aufgreift und in ein Heim bringt. Doch Aymen reisst erneut aus. An der dänischen Grenze wird er gefasst, aber wieder freigelassen. Auch in Norwegen kontrolliert ihn die Polizei und lässt ihn gehen. Er kommt nach Oslo, wo er acht Monate lang auf der Strasse lebt. Dann beschliesst er nach Italien zurückzureisen. Auf der Rückreise wird er im Zug in Basel festgenommen. Der 16-Jährige kommt ins Gefängnis Bässlergut, wo er wegen der «Gefahr des Untertauchens» gemeinsam mit Erwachsenen in Ausschaffungshaft sitzt.

Ab Dezember 2009 begeht Aymen aus Verzweiflung über seine Situation einzelne Vandalenakte. Die Gefängnisleitung reagiert mit disziplinarischen Massnahmen, steckt ihn in eine Zelle ohne Tageslicht und verordnet Zelleneinschluss. In der Folge eskaliert die Situation: Am 24. Februar (kurz nach seinem 17. Geburtstag) verwüstet Aymen seine Zelle, zerreisst nach Darstellung der Behörden seine Kleider und versucht sich zu strangulieren (Leserbrief in der BaZ vom 15.3.10). Die Gefängnisleitung nimmt ihm darauf alle Kleider und das Bett weg: Aymen muss die Nacht nackt auf dem kalten Betonboden seiner Zelle verbringen. Eine Videokamera überwacht ihn. In der folgenden Nacht bekommt er ein plastifiziertes Papiergewand. Am dritten Tag erhält er die Kleider wieder.

Nach der Disziplinarmassnahme schaltete sich der Basler Anwalt Guido Ehrler ein und erreichte, dass der Zelleneinschluss aufgehoben wird. Dadurch hat sich die problematische Situation von Aymen gemäss dem Solidaritätsnetz Basel kurzfristig etwas entspannt. Seine Haft in der Schweiz dürfte allerdings bald zu Ende sein, denn das Bundesverwaltungsgericht wies eine Beschwerde Ehrler’s umgehend ab, in welcher er einen Wegweisungsstopp unter anderem mit Hinweis auf das Folterverbot gefordert hatte. Der Entscheid bedeutet für Aymen, dass er in Kürze nach Dänemark abgeschoben wird.

Was tun mit einem Jugendlichen, der ausflippt?

Der Darstellung des Basler Justiz- und Sicherheitsdepartement, es habe die Gefahr eines Suizids bestanden, ist entgegen zu halten, dass ein Gutachter der Universitären Psychiatrischen Kliniken (UPK) keine Hinweise auf akute Eigen- oder Fremdgefährdung sah. Sollte diese Einschätzung effektiv falsch gewesen sein, so dass am 24. Februar eine akute Gefährdung vorlag, wäre ein fürsorgerischer Freiheitsentzug sicher angemessener gewesen. Eine Disziplinarmassnahme, wie sie Aymen erfuhr, lässt sich «rechtlich nicht begründen», sagt auch der Basler Strafrechtsprofessor Peter Albrecht im Interview mit der BaZ vom 15. März.

Offensichtlich waren die Beteiligten mit dem Jugendlichen überfordert. Die Gefängnisleitung des Bässlerguts sowie die Verantwortlichen beim Basler Justiz- und Sicherheitsdepartement (JSD) sahen jedenfalls konsequent über die Bedürfnisse des unbegleiteten Minderjährigen hinweg. Sie übergingen dessen verfassungsmässigen Anspruch auf besonderen Schutz auf Unversehrtheit (Art 11 Abs 1 BV). Den Basler Behörden fehlte mitunter das Bewusstsein, dass eine Zusammenlegung von Minderjährigen und Erwachsenen Häftlingen problematisch ist und dass eine solche besonderer Begleitmassnahmen bedarf. Auch gibt es Hinweise, dass das Vollzugpersonal im Bässlergut keine spezifische Ausbildung für die Arbeit mit Minderjährigen hat.

Anni Lanz, die im Auftrag vom Solidaritätsnetz Basel regelmässig Gefangenenbesuche im Bässlergut macht, informierte Humanrights.ch/MERS, dass Aymen Probleme mit einem älteren Insassen hatte. Sie kritisiert in ihrem Schreiben, dass sie selber Aymen während Wochen nicht besuchen konnte und dass die Behörden eine Empfehlung der Jugendforensik, regelmässige therapeutische Gespräche für Aymen zu gewähren, einfach übergingen.

Klare Richtlinien fehlen

Die Schweiz behält sich das Recht vor, Jugendliche, die aufgrund von administrativen Verfahren in Haft kommen, nicht von Erwachsenen zu trennen. Sie hat zum entsprechenden Artikel 37c der UNO-Kinderrechtskonvention (KRK) einen Vorbehalt eingereicht. An andere Verpflichtungen durch die KRK ist sie jedoch gebunden. Sie muss etwa dafür sorgen, dass kein Kind «einer (…) grausamen, unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Strafe unterworfen» wird (Art 37a, KRK). Freiheitsentzug ist ferner nur als letztes Mittel geeignet und muss möglichst kurz ausfallen. Deshalb ist Ausschaffungshaft als Mittel gegen die «Gefahr des Untertauchens» nach Ansicht von Humanrights.ch/MERS grundsätzlich falsch.

Das Flüchtlingskommissariat der Vereinten Nationen (UNHCR) empfiehlt im übrigen auch, auf die Inhaftierung minderjähriger Asylbewerber/innen (UMAs) zu verzichten, weil diese für die geistige und seelische Entwicklung der Jugendlichen schwerwiegende Auswirkungen haben kann. Es gilt grundsätzlich im Auge zu behalten, dass Ausschaffungshäftlinge nicht aufgrund einer kriminellen Tat festgehalten werden, sondern aus ausländerrechtlichen Gründen.

Wie mit einem minderjährigen Flüchtling verfahren wird, wenn er von der Polizei aufgegriffen wird, liegt in der Schweiz in der Entscheidungskompetenz der Kantone. Kantonsübergreifende Richtlinien fehlen und der Bundesrat sieht bisher keinen Handlungsbedarf. Generell gilt, dass eine Inhaftierung von Jugendlichen unter 15 Jahren gemäss dem Ausländergesetz verboten ist. Für ältere unbegleitete Minderjährige sind die interkantonalen Unterschiede gross. In einzelnen Kantonen kommen sie nicht in Ausschaffungshaft, etwa in den Kantonen Waadt und Genf. Die Mehrheit der Kantone behandelt die unbegleiteten Minderjährigen allerdings wie Erwachsene.

Dokumentation