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Drittstaatenregelung nicht EMRK konform – Deutsche Studie betrifft auch die Schweiz

13.08.2009

Das deutsche Asylrecht widerspricht gemäss einer Studie des Instituts für Menschenrechte (DIMR) der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK). Dies gilt insbesondere für die sogenannte Drittstaatenregelung, welche seit Inkrafttreten der Schengen-Dublin-Vereinbarung mit der EU im Jahre 2008 auch für die Schweiz Gültigkeit hat. Zwar können die Ergebnisse der Studie wegen der unterschiedlichen Rechtslage nicht tel quel auf die Schweiz übertragen werden; eine vertiefte Analyse der schweizerischen Bestimmungen und Praktiken in Analogie zur deutschen Studie wäre aber angezeigt.

Umgehung des Non-Refoulement-Prinzips durch Drittstaatenregelung

Die Studie legt anhand von Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) aus den vergangenen neun Jahren dar, dass sich die EMRK-Staaten bei Überstellungen auf der Grundlage des Dubliner Zuständigkeitssystems nicht darauf berufen können, die Entscheidung, ob auf ein Asylgesuch eingetreten wird (bzw. ob eine Zuständigkeit für die Beurteilung eines Gesuches besteht), sei lediglich verwaltungstechnisch und berühre ihre Verpflichtungen aus der EMRK nicht. Die Studie hält fest: «Eine Drittstaatenregelung ohne die Möglichkeit der Widerlegbarkeit der Sicherheit des Drittstaates verstösst nach der Rechtsprechung des EGMR, die eine äusserst genaue und individuelle Prüfung der Frage eines Verstosses gegen Art. 3 EMRK (Verbot der Folter und unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung, bzw. das daraus abgeleitete implizite Non-Refoulement-Gebot) fordert, eindeutig gegen die EMRK.»

Was ist die Drittstaatenregelung?

Die Drittstaatenregelung besagt, dass alle Asylsuchenden, welche in einen Staat aus einem sicheren Drittstaat einreisen wollen, in den Verantwortungsbereich von letzterem fallen. Als sichere Drittstaaten gelten unter anderem alle EU-Staaten sowie eine auf nationaler bzw. EU-Ebene festgelegte Liste von Nicht-EU-Staaten. Dies bedeutet, dass die Schweiz einen Asylsuchenden, welcher auf dem Landweg einreist und einen Asylantrag stellt, diesen ohne Einleitung eines Verfahrens in einen andern EU-Staat zurücksenden kann, sofern der Nachweis erbracht wird, dass er sich dort aufgehalten hat. Die Asylsuchenden haben keine Möglichkeit, vor ihrer Abschiebung bei Behörden oder Gerichten geltend zu machen, dass ihnen in diesen Staaten unmenschliche Behandlung droht oder sie dort keinen Zugang zum Asylverfahren erhalten.

Diese Regelung birgt menschenrechtlich relevante Probleme, etwa wenn ein Asylsuchender an das EU-Mitglied Griechenland ausgewiesen wird. Zu Griechenland liegen Berichte von NGOs und vom UNO-Flüchtlingshochkommissariat (UNHCR) vor, wonach keine Grundversorgung gewährt wird, menschenunwürdige Zustände in Haftzentren für Asylsuchende herrschen und der Zugang zum Asylverfahren fehlt. Europarechtliche Mindeststandards im Asylrechtsschutz werden also in einem der wichtigsten Einreisestaaten nach Europa schlicht nicht gewährt.

Abschliessend beurteilen lässt sich allerdings für den migrationsrechtlichen Laien nicht, inwieweit die Aussagen der deutschen Studie auch für die Schweiz Gültigkeit haben. Zu verschieden sind die entsprechenden Regelungen der beiden Länder. Weitere Hinweise auf diese Frage könnte den interessierten Personen allenfalls eine neuere vergleichende Studie geben, welche das UNO-Hochkommissariat für Flüchtlinge (UNHCR) und die Schweizerische Flüchtlingshilfe (SFH) soeben veröffentlicht haben. Die SFH schreibt zur Studie in einer Medienmitteilung: «Das Buch 'Schweizer Asylrecht, EU-Standards und internationales Flüchtlingsrecht' analysiert in rechtsvergleichenden Beiträgen das Verhältnis zwischen den europäischen Standards, dem Schweizer Asylrecht und dem Völkerrecht, dem sich sowohl die Schweiz als auch die Europäische Union dezidiert verpflichtet fühlen. Für die Schweiz besteht in gewissen Punkten Nachholbedarf in der Angleichung an europäische Standards, vor dem Hintergrund ihrer humanitären Tradition kann sie der EU aber auch in verschiedener Hinsicht als Vorbild dienen.»

Dokumentation

  • Pressemitteilung: Neue Studie veröffentlicht - Gravierende Mängel im deutschen Asylrecht
    Deutsches Institut für Menschenrechte, 15. Juli 2009 (online nicht mehr verfügbar)
  • Der Asylkompromiss 1993 auf dem Prüfstand
    Die komplette Studie des DIMR (pdf, 36 S.)
  • Zusammenfassung der Studie vom DIMR (online nicht mehr verfügbar)

Weiterführende Informationen

  • Fahad und das Dublin Abkommen
    Artikel auf Humanrights.ch vom April 2009 über die umstrittene Abschiebung eines Irakers nach Schweden
  • Schweizer Asylrecht, EU-Standards und internationales Flüchtlingsrecht
    Informationen zur Präsentation der vergleichenden Studie des UNHCR und der SFH (online nicht mehr verfügbar)