08.11.2010
Das Bundesverwaltungsgericht spricht einer Dominikanerin, welche einen Schweizer heiratete, um auf diese Weise ihre gleichgeschlechtliche Beziehung zu einer Schweizerin leben zu können, und ihren Kindern ein Aufenthaltsrecht zu. Nicht entscheidend war die Tatsache, dass zum damaligen Zeitpunkt das Institut der gleichgeschlechtlichen Partnerschaft gesetzlich noch nicht anerkannt war und somit für die Beschwerdeführerin gar keine Möglichkeit bestand, ein Aufenthaltsrecht zu erlangen. Massgebend war vielmehr das Kindeswohl ihrer drei vorehelichen Kinder, welches dem öffentlichen Interesse an einer restriktiven Migrationspolitik vorgeht (Urteil C-2524/2007 vom 13. August 2010).
Sachverhalt
Die Beschwerdeführerin A., Staatsangehörige der Dominikanischen Republik, geb. 1968, reiste am 3. Mai 2000 mit einem Besuchervisum in die Schweiz ein, wo sie am 29. Januar 2001 den Schweizer B., geb. 1952, heiratete und in der Folge vom Kanton Basel-Stadt eine Aufenthaltsbewilligung erhielt. Ihrem Gesuch um Familiennachzug ihrer vorehelichen Kinder C. (geb. 3. Juni 1997) sowie der Zwillinge D. und E. (geb. 20 März 1995) wurde entsprochen. Diese reisten am 17. Oktober 2003 in die Schweiz ein.
Die Migrationsbehörde des Kantons Basel-Stadt erhielt im Oktober 2005 Kenntnis davon, dass eine eheliche Gemeinschaft zwischen der Beschwerdeführerin und ihrem Ehemann faktisch zu keinem Zeitpunkt gelebt wurde. Aufgrund der Eheschliessung und des daraus erwachsenen Aufenthaltsrechts der Beschwerdeführerin habe dieser vielmehr ermöglicht werden sollen, mit der Schweizerin S., geb. 1958, in der Schweiz eine gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaft zu führen. Diese Tatsachen blieben von Seiten der Ehegatten unwidersprochen, wobei die Beschwerdeführerin bekannt gab, dass sie sich von ihrer schweizerischen Lebenspartnerin am 7. Oktober 2005 getrennt hatte. Am 22. Juni 2006 verstarb der Ehemann der Beschwerdeführerin.
Gestützt auf den Umstand der guten Integration und des Gesundheitszustands eines der drei Kinder der Beschwerdeführerin verlängerte die Migrationsbehörde die Aufenthaltsbewilligung unbesehen der Tatsache des Vorliegens einer Scheinehe ein weiteres Mal bis zum 28. Januar 2007. Eine weitere Verlängerung unterbreitete sie am 17. Januar 2007 zuständigkeitshalber dem Bundesamt für Migration (nachfolgend BFM) mit dem Antrag auf Zustimmung.
Mit Verfügung vom 5. März 2007 verweigerte das BFM seine Zustimmung zur Verlängerung der kantonalen Aufenthaltsbewilligung und wies die Beschwerdeführerin aus der Schweiz weg.
Die Beschwerdeführerin gelangte mittels Beschwerde vom 5. April 2007 an das Bundesverwaltungsgericht.
Die Unmöglichkeit, unter altem Recht ein Aufenthaltsrecht aufgrund einer gelebten gleichgeschlechtlichen Beziehung zu erhalten, vermag das Eingehen einer Scheinehe nicht zu rechtfertigen
Das Bundesverwaltungsgericht hielt zunächst fest, die Ehe erfülle unbestrittenermassen den Tatbestand des (altrechtlichen) Art. 7 Abs. 2 ANAG, ausländerrechtliche Scheinehe, und sei als solche nicht geeignet, der Beschwerdeführerin gestützt auf Art. 7 Abs. 1 ANAG irgendwelche Ansprüche auf weitere Regelung ihres Aufenthaltes zu vermitteln. Unbesehen dessen sei jedoch auch in solchen Fällen zu prüfen, ob sich eine Wegweisung als verhältnismässig erweist oder ob ein Aufenthaltsrecht unter Härtefallgesichtspunkten zu erteilen sei.
Massgebend sei insofern, inwieweit es der ausländischen Person in persönlicher, wirtschaftlicher und sozialer Hinsicht zugemutet werden könne, ihren Aufenthalt in der Schweiz aufzugeben, um in ihr Herkunftsland zurückzukehren und dort zu leben. Die für die Beurteilung der Zumutbarkeit der Wegweisung massgebenden Kriterien ergeben sich einerseits aus allgemeinen, von der Ehe unabhängigen Elementen, wie der Dauer des Aufenthaltes in der Schweiz, dem Grad der sozialen und wirtschaftlichen Integration in die hiesigen Verhältnisse, dem Alter und des gesundheitliche Zustandes, soweit Kinder vorhanden sind, deren Alter und schulische Integration, aber auch aus den Unterkunfts- und Reintegrationsmöglichkeiten in der Heimat, andererseits aus ehespezifischen Elementen, wie der Dauer der Ehe und den Umstände, die zu deren Auflösung geführt haben.
Im vorliegenden Fall berücksichtigte das Bundesverwaltungsgericht insbesondere die Tatsache, dass die Beschwerdeführerin einzig und allein das Ziel verfolgte, in der Schweiz eine gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaft zu begründen. Obwohl das von der Beschwerdeführerin gewählte Mittel der Eingehung einer Scheinehe als solches nicht gebilligt werden könne, anerkannte das Gericht, dass zum damaligen Zeitpunkt keine Aussichten auf Erteilung einer ordentlichen Aufenthaltsregelung bestanden. Erst mit dem Inkrafttreten des Bundesgesetzes über die eingetragene Partnerschaft am 1. Januar 2007 und der ausländerrechtlichen Gleichstellung der eingetragenen Partnerschaft mit der Ehe wurden diesbezüglich die entsprechenden gesetzlichen Grundlagen geschaffen. Das Bundesverwaltungsgericht betonte dessen ungeachtet, auch wenn das Eingehen einer Scheinehe unter den gegebenen Umständen nicht im Sinne eines Fernhaltegrundes gegen die ausländerrechtlichen Zulassung der Beschwerdeführerin sprechen möge, folge daraus keineswegs, dass die Beschwerdeführerin aus der Scheinehe irgendwelche Privilegierung im Hinblick auf die Gewichtung ihrer Interessen ableiten könne. Vielmehr hätten weitere Elemente im Sinne eines schwerwiegenden persönlichen Härtefalles hinzuzutreten, damit eine rechtserhebliche Betroffenheit vorliege.
Kindeswohl vs. restriktive Migrationspolitik
Das Bundesverwaltungsgericht kam hinsichtlich der Beurteilung der Integrationsbemühungen der sich seit 10 Jahren in der Schweiz aufhaltenden Beschwerdeführerin zum Schluss, die Integration könne in sozialer, beruflicher und wirtschaftlicher Hinsicht als gelungen betrachtet werden. So beziehe sie keine Sozialhilfe, sondern komme im Gegenteil mit ihrem Einkommen nicht nur für den Lebensunterhalt für sich und ihre Kinder auf, sondern habe zeitweilig auch den Lebensunterhalt ihrer schweizerischen Lebensgefährtin finanziert. Aus den Vorakten ging zudem hervor, dass sich die Beziehung zu der schweizerischen Freundin als sehr belastend gestaltete: Diese beutete die Beschwerdeführerin finanziell aus und setzte sie hohem psychischen Druck aus, indem sie ihr wiederholt drohte, sie werde dafür sorgen, dass die Beschwerdeführerin samt ihren Kindern aus der Schweiz ausgeschafft werde. Dieses Verhalten führte auf Seiten der Beschwerdeführerin nicht nur zu Aggressionen der Lebenspartnerin gegenüber, sondern führten bei dieser auch zu einem Suizidversuch. Erst mit Hilfe einer Therapie und nach medikamentöser Behandlung brachte die Beschwerdeführerin den Willen auf, sich von ihrer Lebensgefährtin zu trennen. Die Lebensgefährtin gab auch zu, dass es nicht das erste Mal war, dass S. sich aus der Dominikanischen Republik eine Frau holte, eine Scheinehe organisierte und die Frau anschliessend in der Schweiz «versklavte».
Das Bundesverwaltungsgericht führte jedoch auch aus, aufgrund der Tatsache, dass der ausländerrechtliche Status der Beschwerdeführerin bis Januar 2006 auf einer aktiven Täuschung der Behörden beruhe, müsse mehr als die Hälfte der 10-jährigen Anwesenheit der Beschwerdeführerin als rechtswidrig gelten und könne daher im Rahmen der Härtefallprüfung nicht mit einbezogen werden. Zudem liessen sich bloss gestützt auf die Tatsache, dass in der Dominikanischen Republik gleichgeschlechtliche Lebensformen möglicherweise auf keine gesellschaftliche Akzeptanz stiessen, keine substantiellen Reintegrationsprobleme ausmachen. So sei die Beschwerdeführerin erst im Alter von 32 Jahren in die Schweiz gelangt und habe den weitaus grössten Teil ihres bisherigen Lebens in ihrer Heimat verbracht, weshalb sie mit den dortigen Verhältnissen nach wie vor bestens vertraut sei. Im Übrigen sei sie im Zeitraum 2007 bis 2009 insgesamt vier Mal in ihre Heimat gereist, um ihre Familie zu besuchen und zwischen dem Kindsvater und ihr bestehe ein gutes Einvernehmen. Des Weiteren würde die ihr zustehende Witwen- und Waisenrenten in der Höhe von total Fr. 4‘100.00 auch in der Dominikanischen Republik ausbezahlt, ein Betrag welcher einem Vielfachen des durchschnittlichen lokalen Monatseinkommen entspreche. Auch hätte sie aufgrund ihrer Sprachkenntnisse sowie ihrer langjährigen Erfahrung in der Schweizer Hotellerie gute Chancen im Tourismussektor eine Anstellung zu finden.
Im Rahmen der Interessenabwägung betonte das Bundesverwaltungsgericht unter ausdrücklichem Hinweis auf Art. 3 Abs. 1 der Kinderrechtskonvention auf der anderen Seite, dass das Kindeswohl bei allen Massnahmen, welche Minderjährige betreffen, ein Aspekt von vorrangiger Bedeutung darstelle. Dieser völkerrechtlichen Verpflichtung sei insbesondere unter dem Aspekt der fortgeschrittenen sozialen und schulischen Integration von Kindern in der Schweiz Rechnung zu tragen.
Unter diesem Aspekt erscheint gemäss den Ausführungen des Gerichts insbesondere die Tatsache gewichtig, dass die Kinder der Beschwerdeführerin in einem Alter in die Schweiz gelangten (sechseinhalb bzw. achteinhalb Jahre), in welchem die Sozialisierung ausserhalb des engen Familienkreises gerade anfangen würde. In der Folge setzte sich das Bundesverwaltungsgericht ausführlich mit der konkreten Situation der beiden 15-jährigen Zwillingen und der 13-jährigen Tochter auseinander und erwog, insbesondere die Situation von D., deren schulischen Leistungen und Verhalten zu Bemerkungen Anlass gegeben hatten, würde unter dem Gesichtspunkt des Kindeswohls erhebliche Bedenken wecken, würde die Rückführung in ihre Heimat erzwungen.
Im Ergebnis kam das Bundesverwaltungsgericht im Rahmen einer Gesamtwürdigung der Interessen und unter besonderer Berücksichtigung des Kindeswohls zum Ergebnis, dass die Familie der Beschwerdeführerin als Ganzes durch die Verweigerung des Aufenthaltes in einer Weise berührt wäre, welche einem schwerwiegenden persönlichen Härtefall gleichkomme. Ausschlaggebend sei zwar nicht die Situation der Beschwerdeführerin für sich allein genommen, könne von dieser doch ohne weiteres verlangt werden, in ihre Heimat zurückzukehren. Indessen würden die Folgen eines Verlustes des sozialen und schulischen Umfeldes der 13-jährigen Tochter C. und der 15-jährigen E., welche kurz vor dem Abschluss der obligatorischen Schulzeit stehe, die günstigen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen, welche die Familie in ihrer Heimat antreffen würde, nur teilweise zu kompensieren. Schwer ins Gewicht falle schliesslich die Situation von D., welche sich gegenwärtig in einer kritischen Lebensphase befinde und auf besondere Unterstützung und Betreuung angewiesen sei. Für den Fall, dass diese gezwungen wäre, ihr jetziges Umfeld aufzugeben und mit der offensichtlich überforderten Mutter in die Dominikanische Republik zurückzukehren, seien ernstliche Folgen für deren weitere Entwicklung zu befürchten. Unter diesen Umständen erweise sich das öffentliche Interesse an der Durchsetzung der restriktiven Migrationspolitik gegenüber dem Interesse der Beschwerdeführerin und ihrer Kinder an einem weiteren Aufenthaltsrecht als deutlich geringer und habe daher zurückzutreten
- Urteil des Bundeswerwaltungsgerichts vom 13. August 2010
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