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Zirkumzision: Die fehlende Auseinandersetzung mit der «Knabenbeschneidung»

31.12.2023

Das Abschneiden der männlichen Vorhaut ist einer der häufigsten chirurgischen Eingriffe an Kindern – auch in der Schweiz. Die sogenannte Zirkumzision wird medizinisch, gesundheitlich-präventiv oder rituell begründet und steht seit einigen Jahren zusehends in Kritik. Aus grund- und menschenrechtlicher Perspektive tangiert das Abschneiden der Vorhaut bei einwilligungsunfähigen Kindern das Recht auf körperliche Selbstbestimmung. Gesetzgeber und Justiz haben die Nachteile und Risiken des Eingriffs bis heute ungenügend aufgearbeitet.

Medizinisch nicht indizierte «Knabenbeschneidungen» an nicht einwilligungsfähigen Kindern werden auch in der Schweiz durchgeführt. Während die Thematik in der strafrechtlichen Praxis und Lehre lange Zeit keine Beachtung fand, wurde sie von Jurist*innen und innerhalb der Zivilgesellschaft in den letzten 10 Jahren kontrovers diskutiert.

Ob eine nach den Regeln der ärztlichen Kunst und mit Einwilligung der Eltern durchgeführte Zirkumzision an einem nicht einwilligungsfähigen Kind rechtlich zulässig ist, wurde bis heute weder innerhalb der Rechtswissenschaften noch vom Gesetzgeber eindeutig geklärt. Auch die internationalen Menschenrechtsgremien – in erster Linie der UNO-Kinderrechtsausschuss – haben sich mit der «Knabenbeschneidung» noch nicht grundsätzlich auseinandergesetzt.

In Anbetracht der infragestehenden Kinderrechte – insbesondere das Recht auf körperliche und sexuelle Selbstbestimmung – sind der Gesetzgeber und die Justiz angehalten, die Nachteile und Risiken von medizinisch nicht indizierten Zirkumzisionen aufzuarbeiten und ihre Befunde in die Gesetzgebung und Rechtsprechung einzuarbeiten.

Zum Abschneiden der Vorhaut

Das Abschneiden der Vorhaut – medizinisch Zirkumzision genannt – meint die vollständige oder teilweise chirurgische Entfernung der Vorhaut des Gliedes. Der Eingriff ist irreversibel. Bei der Zirkumzision lassen sich grundsätzlich medizinisch indizierte, rituelle und gesundheitlich-präventiv begründete Beschneidungen unterscheiden.

Von einer medizinisch indizierten Beschneidung spricht man im Zusammenhang einer gravierenden Vorhautverengung (Phimose) oder etwa der Hautkrankheit Lichen sclerosus. Demgegenüber ist das rituelle Abschneiden der Vorhaut ein Element jüdischer und islamischer Religionen und gilt für viele Menschen als wesentliches Symbol ihrer Glaubenszugehörigkeit. Schliesslich werden Kinder auch beschnitten, weil die Zirkumzision in ihren Kulturkreisen mit einer besseren Hygiene und präventiv-medizinischer Wirkungen in Verbindung gebracht wird. So werden solche Operationen in den USA an schätzungsweise 60 Prozent der Säuglinge durchgeführt. Schliesslich wird das Abschneiden der Vorhaut teilweise auch mit sexnegativen und sexualfeindlichen Argumenten begründet, wonach es den «männlichen Trieben» Einhalt gebietet oder gar «Perversion» abwenden soll.

In der Schweiz werden in den Spitälern jährlich rund 2900 Vorhautamputationen an Kindern durchgeführt (BSF, 2019). Wenn alle Beschneidungen, welche in Arztpraxen, im privaten Umfeld und im Ausland durchgeführt werden, mitgezählt werden, sind rund 10% der männlichen Kinder beschnitten. Damit ist die Vorhautamputation in der Schweiz (wie auch im Ausland) der häufigste chirurgische Eingriff an Kindern (vgl. Eicker et. al, 2023, S. 21).

Der wissenschaftliche Diskurs

Obwohl die Zirkumzision einer der häufigsten Eingriffe in der Kinderchirurgie ist, existieren zu den Krankheitsbildern und Behandlungsmöglichkeiten der Vorhaut – auch in der Schweiz – bis heute keine einheitlichen Standards. Darüber hinaus ist in medizinischen Fachkreisen ein umfassender Diskurs über das Abschneiden der Vorhaut und ihre medizinischen Indikationen bisher nicht zustande gekommen. Weder der Berufsverband Kinderärzte Schweiz noch die Schweizerische Gesellschaft für Kinderchirurgie haben sich zum Eingriff abschliessend geäussert. Anders sieht es in verschiedenen europäischen Nachbarstaaten aus: So haben sich Fachverbände in Deutschland, den Niederlanden, Norwegen oder Schweden gegen die medizinisch nicht indizierte Zirkumzision ausgesprochen. Weltweit wurde von den meisten Medizinverbänden zu diesem Eingriff noch keine Stellung bezogen, explizite Empfehlungen für das Abschneiden der Vorhaut finden sich aber keine.

Hingegen werden im wissenschaftlichen Diskurs zusehends die möglichen negativen Folgen und Langzeitwirkungen der Zirkumzision diskutiert. Kurzfristig kann der Eingriff gemäss Studien zu Nachblutungen, Infektionen oder etwa Schmerzen führen. Verschiedene Publikationen kommen zum Schluss, dass die Entfernung der Vorhaut und der darin befindlichen Nervenendungen zudem einen spürbaren Sensibilitätsverlust und eine Beeinträchtigung des Sexuallebens zur Folge haben kann. Eine Umfrage brachte hervor, dass Beschnittene an sichtbaren Narben, Schmerzen, Erektionsproblemen und Blutungen leiden. Das Bewusstsein über die Zirkumzision führt bei manchen Männern schliesslich zu Trauer, Angststörungen, Depressionen sowie sexuellen Problemen. Weitere, insbesondere jüngere Studien, geben ebenso Hinweise darauf, dass die Zirkumzision zu psychischen Beeinträchtigungen führen kann. Auch der Zirkumzision kritisch eingestellte Fachpersonen merken allerdings an, dass in wesentlichen Punkten noch ein erheblicher Forschungsbedarf besteht.

Einige insbesondere ältere Untersuchungen schreiben dem Abschneiden der Vorhaut hingegen präventive Vorteile zu – etwa im Zusammenhang mit Peniskrebs, HIV, Harnwegsinfektionen und Infektionen mit Chlamydien, Herpes-Simplex-Viren, Human Papillomviren und Syphilis. Diese Befunde gelten heute aber als nicht ausreichend nachgewiesen. Der medizinwissenschaftliche Diskurs ist schliesslich stark kulturell geprägt. So publizierte etwa die American Academy of Pediatrics eine Stellungnahme, wonach der Nutzen der Zirkumzision die Risiken für Neugeborene überwiege. Dafür wurde die Akademie von zahlreichen Ärzt*innen und Vertreter*innen wissenschaftlicher Vereinigungen ausserhalb der Vereinigten Staaten kritisiert: Die Ergebnisse der Studie seien massgebend von der kulturellen Voreingenommenheit – der Normalität der medizinisch nicht indizierten Zirkumzision in den USA – gezeichnet.

Kinderrechtlicher Hintergrund

Die Zirkumzision greift zweifelsfrei in grund- und menschenrechtliche Ansprüche der betroffenen Kinder ein. Namentlich das verfassungsmässige Recht auf körperliche Unversehrtheit, welches ein Selbstbestimmungsrecht – auch und insbesondere bezüglich medizinischer Eingriffe – beinhaltet. Teil des Selbstbestimmungsrechts ist überdies auch die geistige Unversehrtheit (Art. 10 Abs. 2 BV). Schliesslich bestimmt die Bundesverfassung explizit, dass Kinder und Jugendliche Anspruch auf besonderen Schutz ihrer Unversehrtheit haben (Art. 11 BV). Eine Bestimmung, welche als qualitativ erweiterter Schutz der persönlichen Integrität zu verstehen ist und die Kinder gegenüber anderen Grundrechtspositionen, etwa der leiblichen Eltern, eingriffsresistenter macht.

Aus der UNO-Kinderrechtskonvention lässt sich insgesamt ableiten, dass Kinder in erster Linie Individuen mit subjektiven Rechten und nicht primär (nur) Mitglieder einer Familie sind. Eine Besonderheit der Kinderrechtskonvention ist zudem, dass sich viele ihrer Bestimmungen nicht nur mit dem Verhältnis zwischen Staat und Kind, sondern demjenigen zwischen Erwachsenen und Kindern im Privatbereich auseinandersetzen. Zentrale Prinzipien der UNO-Kinderrechtskonvention im Zusammenhang mit der Zirkumzision sind das Kindeswohl (Art. 3 KRK), das allgemeine Anhörungsrecht (Art. 12 KRK), die Rechte und Pflichten der Eltern (Art. 5 und 18 KRK), die Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit des Kindes (Art. 14 KRK) sowie der Missbrauchsschutz (Art. 19 KRK).

Strafbarkeit nicht abschliessend geklärt

Auf Gesetzesebene ist die weitgehend irreversible teilweise oder vollständige Entfernung der männlichen Vorhaut in jedem Fall als einfache Körperverletzung zu qualifizieren (Art. 123 Ziff. 2 Abs. 3 StGB). Grundsätzlich kann ein körperlicher Eingriff dieser Art aber durch die Einwilligung des/der Patient*in oder bei urteilsunfähigen Kindern ohne Einwilligungsfähigkeit durch die Einwilligung der gesetzlichen Vertretung gerechtfertigt sein. Als Ausdruck des elterlichen Erziehungsrechts hat sich die Einwilligung der Eltern jedoch am Kindeswohl zu orientieren (Art. 301 ZGB). Das gilt auch für das religiöse Erziehungsrecht der Eltern: Ihr Recht auf Religionsfreiheit vermag Eingriffe in grundlegende Rechte Dritter nicht zu rechtfertigen und könnte daher auch nicht einen das Kindeswohl verletzenden Eingriff heilen. Hinsichtlich der Strafbarkeit der Zirkumzision ergibt sich deshalb die kontrovers diskutierte Frage, ob das Abschneiden der Vorhaut mit dem Kindeswohl zu vereinbaren ist (vgl. Beitrag von Scheidegger in Eicker, 2023).

In ebendieser Debatte stehen sich innerhalb der Rechtswissenschaften zwei Lager gegenüber. Auf der einen Seite besteht die Ansicht, dass eine Zirkumzision nur gerechtfertigt sein kann, wenn nach einer objektiven Abwägung die Vorteile des Eingriffs überwiegen. Die Vertreter*innen dieser Position stellen sich grundsätzlich auf den Standpunkt, dass nur medizinische notwendige Beschneidungen durch die stellvertretende Einwilligung der Eltern gerechtfertigt werden können.

Auf der anderen Seite wird argumentiert, dass dem Staat das inhaltliche Definieren des Kindeswohls und die Vornahme einer Kosten-Nutzen-Rechnung zum Nachteil des elterlichen Ermessens nicht zustehe. Die primäre Kompetenz zur Bestimmung des Kindeswohls liege bei den Eltern. Ein Eingreifen des Staates sei hingegen nur gerechtfertigt, wenn durch die Zirkumzision das Kindeswohl offensichtlich nicht mehr gewahrt und damit die Entscheidung der Eltern für den Eingriff gänzlich unvertretbar wäre. Eine derartige Unvertretbarkeit wäre etwa vorstellbar, wenn die Zirkumzision nicht nach den Regeln der ärztlichen Kunst oder ohne adäquate Schmerzbehandlung durchgeführt würde. Für eine grundsätzliche Unvertretbarkeit des Eingriffs würden etwa erhebliche körperliche Risiken oder psychosexuelle Spätfolgen sprechen. Auch Beeinträchtigungen der sexuellen Funktion oder des sexuellen Erlebens wären als Eingriffe in die spätere sexuelle Selbstbestimmung mit dem Kindeswohl kaum zu vereinbaren. Offen bleibt, ob hierzu (bereits) eine ausreichende medizinische Datenlage vorliegt.

Keine Klärung in Rechtsprechung und Politik

Bis heute haben die Schweizer Justiz und der Gesetzgeber die neueren Forschungsergebnisse zu den Auswirkungen der Zirkumzision nicht aufgearbeitet und die Frage nach ihrer Strafbarkeit nicht eindeutig beantwortet. Im Jahr 2012 wurde die Verstümmelung oder die erhebliche und dauerhafte Beeinträchtigung der Genitalien von weiblichen Personen ausdrücklich unter Strafe gestellt, das Abschneiden der Vorhaut in Artikel 124 Strafgesetzbuch jedoch nicht aufgenommen. Damit wurde die Zirkumzision zwar nicht den besonderen Regeln zu Strafmass, Einwilligungsmöglichkeit und Auslandtaten unterstellt, welche für die weibliche Genitalverstümmelung gelten. Zur Strafbarkeit der Zirkumzision nach den gewöhnlichen Körperverletzungsstraftatbeständen ist damit aber noch nichts gesagt.

Aus ebendiesem Grund stellte SP-Nationalrätin Jaqueline Fehr im Jahr 2o12 anhand einer Interpellation die Frage, inwiefern medizinisch nicht indizierte «Knabenbeschneidungen» (und kosmetische Genitaloperationen) an Kindern mit der UNO-Kinderrechtskonvention, der Bundesverfassung und dem Schweizerischen Strafgesetzbuch zu vereinbaren seien. Der Bundesrat sah nach der Debatte im Parlament jedoch keinen Anlass, «auf diesen Entscheid zurückzukommen». Auch Bernhard Guhl (BD/AG) gelangte im Juni 2017 mit einer Interpellation an den Bundesrat und erfragte, wie viele «medizinisch nicht indizierte «Knabenbeschneidungen» in den letzten Jahren in der Schweiz stattgefunden haben und wie dieser jene Unterlagen beurteile, welche die negativen Folgen der Praktik aufzeigen. In seiner Antwort hielt der Bundesrat fest, «dass aufgrund der verfügbaren medizinischen Evidenz kein Anlass besteht, in befürwortendem oder ablehnendem Sinne zu Knabenbeschneidungen Stellung zu nehmen».

Schliesslich bleibt auch die Justiz eine grundsätzliche Auseinandersetzung mit der Zirkumzision schuldig. So haben sich bisher das Kantonsgerichts Graubünden und das Obergericht des Kantons Zürich mit Konstellationen befasst, in welchen sich die Sorgeberechtigen in der Frage der Beschneidung uneinig waren. Hingegen haben sich die zuständigen Richter*innen nicht dazu geäussert, ob das medizinisch nicht indizierte Abschneiden der Vorhaut einwilligungsunfähiger Kinder per se eine Gefährdung des Kindeswohls darstellt. Ebenso haben sie eine Diskussion der grund- und menschenrechtlichen Ansprüche ausgelassen. Schliesslich wurden mehrere Strafanzeigen gegen Zirkumzisionen von kantonalen Staatsanwaltschaften nicht an die Hand genommen – teilweise, weil diese den Entscheid des Parlaments aus dem Jahr 2012 als bewussten Entscheid gegen die Straflosigkeit der Zirkumzision interpretierten.

Und die internationale Gemeinschaft?

Wie auf nationaler Ebene hat sich bis anhin auch kein internationales Menschenrechtsgremium grundsätzlich mit dem Abschneiden der männlichen Vorhaut auseinandergesetzt und entsprechend geäussert. In einer Resolution zum Recht der Kinder auf körperliche Integrität bezeichnete die Parlamentarische Versammlung des Europarates im Jahr 2013 jedoch nicht nur die Genitalverstümmelung bei Mädchen, sondern auch die Zirkumzision als Grund «besonderer Besorgnis». Von Vertreter*innen jüdischer und muslimischer Organisationen wurde dieser Beschluss stark kritisiert. Mit einer Resolution zur Religionsfreiheit und dem Zusammenleben in einer demokratischen Gesellschaft konkretisierte der Europarat im Jahr 2015 schliesslich, dass die rituelle «Knabenbeschneidung» (nur dann) zulässig sei, wenn sie von einer dazu ausgebildeten Fachperson und unter geeigneten medizinischen und gesundheitlichen Bedingungen erfolge.

Grundlage für die Resolutionen im Europarat bildete ein Bericht der deutschen Europaratsabgeordneten Marlene Rupprecht. Sie hatte sich noch als Bundestagsabgeordnete vertieft mit der Zirkumzision auseinandergesetzt. Auslöser war ein Urteil des Landesgerichts Köln aus dem Jahr 2012: Das Gericht war zum Schluss gekommen, dass das religiös motivierte Abschneiden der Vorhaut eines nicht einwilligungsfähigen Kindes strafrechtswidrig sei. Zwar wurde der angeklagte Arzt, der den vierjährigen Knaben auf Wunsch der muslimischen Eltern fachgerecht beschnitten hatte, freigesprochen. Dennoch sorgte das Urteil über Deutschland hinaus für grossen Wirbel. In der Folge konkretisierte Deutschland die Gesetzgebung (Art. 1631d BGB) und entschied, dass die Beschneidung von nichteinwilligungsfähigen Knaben aus religiösen wie auch anderen Gründen unter Einhaltung bestimmter Anforderungen zulässig sei.

Schliesslich hat sich auch der UNO-Kinderrechtsausschuss nicht grundsätzlich zur medizinisch nicht indizierten Zirkumzision geäussert. Im Rahmen einzelner Staatenberichtsverfahren positionierte er sich jedoch kritisch zu «Knabenbeschneidungen», welche medizinisch nicht sicher durchgeführt werden. Auf eine Individualbeschwerde aus Finnland ist er nicht eingetreten, weil die infragestehende Zirkumzision durchgeführt wurde, bevor das Zusatzprotokoll der UNO-Kinderrechtskonvention – und damit das Individualbeschwerdeverfahren – für Finnland in Kraft getreten war.

Klare Forderungen aus der Zivilgesellschaft

In der Schweiz wie auch anderen Nachbarländern äussern sich Selbsthilfeorganisationen sowie einzelne Betroffene kritisch zum Abschneiden der Vorhaut ohne eigene mündige und informierte Einwilligung. So etwa der Verein «Droit au Corps» in Frankreich oder «MOGis» und der Verband «Intaktiv» in Deutschland. In der Schweiz engagieren sich in diesem Zusammenhang der Verein prepuce.ch und Pro Kinderrechte Schweiz für die Selbstbestimmung und Gleichberechtigung aller Menschen. Pro Kinderrechte Schweiz sieht die dringende Notwendigkeit, sich mit der Beschneidung der Vorhaut auf nationaler Ebene auseinanderzusetzen. Er fordert deshalb, dass sich der Bund mit dem Thema eingehender befasst und ist zu diesem Zweck unter anderem bereits an die Eidgenössische Kommission für sexuelle Gesundheit (EKSG) gelangt.

Mit der Kampagne «Mein Körper gehört mir» macht die Organisation darauf aufmerksam, dass es sich beim Abschneiden der Vorhaut um eine invasive Operation handle, die das Geschlechtsorgan und seine immunologische, schützende sowie sexuelle Funktion unwiderruflich verändere und beschädige. Zudem verursache der Eingriff starke Schmerzen. Der Verein veröffentlichte dazu Zeugnisse von Betroffenen, die heute unter ihrer Beschneidung leiden. Pro Kinderrechte Schweiz fordert, dass Jungen und Mädchen gleichermassen vor Eingriffen in ihr verfassungsmässiges Recht auf körperliche Unversehrtheit geschützt werden.

Wie weiter?

Mit dem medizinisch nicht indizierten Abschneiden der männlichen Vorhaut bei einwilligungsunfähigen Kindern wird ihr Grundrecht auf körperliche und sexuelle Selbstbestimmung tangiert. Mehrere wissenschaftliche Studien liefern zudem Hinweise, dass Zirkumzisionen physische und psychische Beeinträchtigungen zur Folge haben können. Aus diesen Gründen sind die Schweizer Behörden aufgefordert, entsprechende Forschungsarbeiten zu veranlassen.

Ebenso von zentraler Bedeutung wäre eine Auseinandersetzung mit dem Abschneiden der Vorhaut und ihren medizinischen Indikationen durch die medizinischen Fachverbände in der Schweiz. In jedem Fall ist sicherzustellen, dass beschneidungswillige Eltern im Rahmen der Risikoabklärung über die neusten wissenschaftlichen Erkenntnisse zu den Funktionen der Vorhaut und die Folgen einer Amputation informiert werden.

Der Gesetzgeber muss die Forschungsbefunde schliesslich normativ verarbeiten.
Ob ein strafrechtliches Verbot hierbei zielführend oder gar kontraproduktiv ist, kann mit dem heutigen Wissensstand nicht abschliessend beantwortet werden (vgl. Scheidegger, 2023). Vorerst ist abzuklären, inwiefern sich «Knabenbeschneidungen» dadurch in die Illegalität verschieben könnten und die für den Eingriff notwendigen Hygiene- und Qualitätsstandards damit nicht mehr gewährleistet wären.

Es bleibt die Tatsache, dass die «Knabenbeschneidung» für verschiedene jüdische und muslimische Glaubensgemeinschaften ein zentrales Element ihres Glaubens darstellt. Zu berücksichtigen ist in diesem Zusammenhang ebenso, dass die Debatte rund um das Abschneiden der Vorhaut von rassistischen und antisemitischen Bewegungen missbraucht werden kann. Der Kampf gegen Ausgrenzung und für die Integration von religiösen Minderheiten muss ein zentrales Element des Menschenrechtsschutzes in der Schweiz darstellen.

Eingriffe in das Recht auf körperliche Unversehrtheit von nichteinwilligungsfähigen Kindern lassen sich damit jedoch nicht rechtfertigen; insbesondere, weil Kinder zur Wahrung ihrer Unversehrtheit gegenüber kollidierenden Rechtsansprüchen gemäss Bundesverfassung (Art. 11 BV) einen besonderen Schutz geniessen. Weil aber auch (grund-)rechtliche Ansprüche der Eltern zur Debatte stehen, muss die medizinische und rechtliche Aufarbeitung der «Knabenbeschneidung» von einem interkulturellen Dialog mit Einbezug der Betroffenenorganisationen wie prepuce.ch oder Pro Kinderrechte Schweiz und Vertreter*innen von betroffenen Glaubensgemeinschaften begleitet werden. Dabei sind auch jene Stimmen miteinzubeziehen, welche die Aufschiebung der Zirkumzisionen bis zur Urteilsfähigkeit oder alternative Riten praktizieren oder dies in Erwägung ziehen.


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