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Freiheitsbeschränkende Massnahmen in psychiatrischen Einrichtungen

30.06.2017

Am 28. Aug. 2017 veröffentlichte die Nationale Kommission zur Verhütung von Folter (NKVF) ihren Bericht über den Besuch bei den Universitären Psychiatrischen Diensten (UPD) Bern auf dem Waldau-Areal und der forensisch-psychiatrischen Station Etoine, zusammen mit der Stellungnahme des Kantons Bern. Bereits im Juni 2017 hatte die NKVF im Rahmen ihres Tätigkeitsberichts für das Jahr 2016 einen Schwerpunktartikel zur Frage publiziert, wie sich die freiheitsbeschränkenden Massnahmen in psychiatrischen Einrichtungen in der Schweiz mit den Grundrechten vereinbaren lassen.

Rechtliche Vorgaben

Der erste, längere Teil des Schwerpunktartikels bietet eine Übersicht über die (menschen-) rechtlichen Vorgaben auf internationaler Ebene und im schweizerischen Erwachsenenschutzrecht, was die unfreiwillige Unterbringung und die Anwendung freiheitsbeschränkender Massnahmen in psychiatrischen Einrichtungen angeht. Die gut verständliche Übersicht erläutert nebst den menschenrechtlichen Grundsätzen die spezifischen Standards für die die materiellen Lebensbedingungen, die psychiatrische Behandlung sowie für freiheitsbeschränkende Massnahmen wie die Zwangsmedikation, die Fixierung oder die Isolation.

Empirische Feststellungen

Im zweiten Teil des Artikels macht die Kommission den Realitätscheck und fasst die Beobachtungen zusammen, welche sie anlässlich mehrerer Besuche in psychiatrischen Einrichtungen gemacht hatte.

Die Kommission überprüfte unter anderem die Einhaltung der gesetzlich vorgeschrieben Voraussetzungen bei Anordnung einer Behandlung ohne Zustimmung. Sie stellte fest, dass die Zwangsmedikationen oft nicht in der vorgeschrieben Form einer anfechtbaren Verfügung angeordnet werden. Auch fehle bei einer grossen Zahl von Behandlungen die Unterschrift des dazu berechtigten Chefarztes, und die Massnahmen würden nur sehr lückenhaft dokumentiert. Die Patienten/-innen könnten so ihre Beschwerdemöglichkeiten nicht voll ausschöpfen.

Fixierungen von Patienten/-innen würden in den psychiatrischen Einrichtungen in der Regel in Kombination mit der zwangsweisen Verabreichung von Medikamenten eingesetzt. Sehr selten werden sie über längere Zeit aufrechterhalten. Vereinzelt finden sich bedenkliche Fälle, in welchen solche Massnahmen über mehrere Wochen und zum Teil wiederholt angewandt werden. Die Einhaltung der formalen Vorgaben und die Protokollierung erwiesen sich als lückenhaft. Es kann so nicht nachvollzogen werden, wie und wie regelmässig die Zwangsmassnahmen auf ihre Berechtigung hin überprüft werden. Weiter fehlen regelmässig sowohl der Name der anordnenden Person wie auch Informationen zu Zweck und Dauer der Massnahme.

Über Aufenthalte im Isolationszimmer liegt gemäss der Kommission nicht immer ein detailliertes Protokoll vor. Weiter entscheidet das Pflegepersonal häufig situativ, ob und wann eine isolierte Person an die frische Luft gelangen kann.

Die Kommission stellte weiter fest, dass in Einrichtungen mit vielen älteren, dementen Patienten bewegungseinschränkende Massnahmen wie zum Beispiel Bettgurte häufiger eingesetzt werden. Obwohl die Massnahme zur Sturzprävention durchaus gerechtfertigt sein kann, sollte sie mit grosser Zurückhaltung und nur solange zwingend notwendig angewandt werden. Auch hier erweist sich die Dokumentation als lückenhaft. So sei unter anderem nicht ersichtlich, wie die Betroffenen über die Massnahme informiert werden, und es können keine Verfügungen mit Rechtsmittelbelehrung vorgewiesen werden. Die Protokollierung sei nicht vollständig und entspreche nicht dem Standard, der für bewegungseinschränkende Massnahmen vorausgesetzt wird.

Fazit

In ihrer Schlussfolgerung zieht die NKFV das Fazit, dass die 2011 eingeführten erwachsenenschutzrechtlichen Vorgaben einer weiteren Konkretisierung bedürfen. Für das neu eingeführte Instrument des Behandlungsplans bei fürsorgerisch untergebrachten Personen sowie für die Dokumentation von freiheitsbeschränkenden Massnahmen bestehe ein Optimierungsbedarf. Es gelte, eine praxistaugliche Form zu finden, welche die Patientenrechte gewährleistet.

Dokumentation

Der Bericht zur UPD Bern (Waldau)

Ihre empirischen Befunde aus verschiedenen Besuchen von psychiatrischen Institutionen hat die NKVF am 28. Aug. 2017 mit der Publikation des Berichts über den Besuch vom 14. Nov. 2016 bei den Universitären Psychiatrischen Diensten (UPD) Bern auf dem Waldau-Areal belegt. Dabei hat sich das oben gezeichnete Bild bestätigt.

So bemängelte die NKVF auch in der UPD Bern das Fehlen der vorgeschriebenen Behandlungspläne für Personen unter fürsorgerischer Unterbringung.

Die NKVF überprüfte die von den UPD Bern zur Verfügung gestellten Unterlagen und stellte im Jahr 2016 40 Fixierungen fest. Die durchschnittliche Dauer der Fixierung betrug zwei Tage. Eine mehrtägige Fixierung ist gemäss der Kommission wenn möglich zu verhindern. Mit zunehmender Dauer steigen die Anforderungen an die Begründung und Nachwollziehbarkeit der Einschränkung.

Diese und weitere kritische Punkte sind im Bericht der NKFV zur UPD Bern aufgelistet. Stefan Aebi, Chef der UPD, äusserte sich in einem Interview mit dem „Bund“ zur Kritik der NKVF. Er gibt der Kommission betreffend der Behandlungspläne recht, verteidigt jedoch sonst die Führung der UPD und spricht von einem teilweise veralteten Bild der Psychiatrie, das in den Vorwürfen zum Ausdruck komme.

Schon zuvor hatte der Regierungsrat des Kantons Bern zum Bericht Stellung genommen. Er nahm viele der kritisierten Punkte zur Kenntnis und forderte die UPD Bern auf, die bisherigen Umsetzungen zu überprüfen.