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Gleichstellung der Frau - Dossier

Politische Partizipation: Gleichstellung noch in weiter Ferne

16.08.2022

Auch wenn Frauen und Männer in der Schweiz die gleichen politischen Rechte besitzen, sind die Politik und ihre Institutionen nach wie vor stark von Männern und ihren Verhaltensweisen geprägt. Das hat Konsequenzen für die Beteiligung von Frauen an den politischen Prozessen – insbesondere von Frauen of Colour wie auch trans, inter und nicht-binären Personen. Sie sind in Machtpositionen häufig untervertreten und haben weniger Möglichkeiten, politische Entscheidungen zu beeinflussen.

Eines der wichtigsten Ziele von nationalen und internationalen feministischen Bewegungen war und ist – neben der unabhängigen materiellen Existenzsicherung – immer auch der Kampf um die politische Partizipation. Die gleichberechtigte Mitgestaltung der gesellschaftlichen Verhältnisse ist für die Umsetzung anderer Gleichstellungsforderungen zentral.

Trotz langjähriger Bemühungen ist die Beteiligungsquote von Frauen an politischen Entscheidungsprozessen jedoch immer noch deutlich tiefer als diejenige der Männer – patriarchale und sexistische Strukturen erschweren ihnen den Zugang zur politischen Partizipation. Das wird durch den Frauenanteil in politischen Ämtern und anderen politischen Entscheidungsgremien besonders deutlich: Im Jahr 2020 machten Frauen in nationalen Parlamenten weltweit nur rund 25 Prozent aus. Auch in der Schweiz bietet sich kein anderes Bild.

Gender Gap in der politischen Repräsentation

Die formalen politischen Rechte – das Stimmrecht, das aktive und passive Wahlrecht sowie das Referendums- und Initiativrecht – sind in der Bundesverfassung (Artikel 34 BV) und dem Bundesgesetz über die politischen Rechte verankert. Zudem garantiert Artikel 8 Absatz 3 der Bundesverfassung explizit die Gleichberechtigung von Frau und Mann und verbietet in Absatz 2 die Diskriminierung aufgrund des Geschlechts. Formal sind Frauen und Männer demnach politisch gleichgestellt, wobei die rechtlichen und politischen Auseinandersetzungen rund um die Anerkennung der Gleichstellung bis Anfang der neunziger Jahre dauerten.

Die politische Partizipation geht jedoch weit über das blosse Stimm- und Wahlrecht hinaus. Besonders deutlich zeigt sich das Gleichstellungsdefizit in der Politik an der mangelnden Repräsentation. Obwohl die Frauen in der Schweiz 53 Prozent der Stimmbevölkerung ausmachen, liegt der ihr Anteil in politischen Gremien bei nur etwa einem Drittel. Im Nationalrat beträgt der Frauenanteil aktuell rund 42 Prozent (2017: 32% 2011: 29%; 2006: 29%) und im Ständerat 26.1 Prozent (2017: 15.2 %, 2011 bei 19.6%; 2006 bei 23.9%). Die Repräsentation von Frauen in den Kantonsparlamenten, den kantonalen Regierungen und in den Gemeinden liegt deutlich tiefer. In den kantonalen Parlamenten sind Frauen im Jahr 2022 mit durchschnittlich 33 Prozent (2017: 27.1, 2012: 25.1%; 2007: 26%) und in der kantonalen Exekutive mit 27.3 Prozent (2017: 23.4%, 2012: 23.7%; 2007: 20.5%) vertreten.

Das Ungleichgewicht in der politischen Repräsentation beginnt bereits innerhalb der politischen Parteien. Im Jahr 2019 waren unter den Mitgliedern der grossen Parteien in der Schweiz 138'000 Männer und 93'000 Frauen vertreten. Die Frauenanteile unterschieden sich dabei zwischen den Parteien beträchtlich: Bei der ehemaligen BDP und SVP waren doppelt so viele männliche wie weibliche Mitglieder eingetragen. Die ehemalige CVP und SP meldeten einen Frauenanteil von ungefähr 40 Prozent. Einzig die Grünen näherten sich einem Gleichgewicht. Die FDP legte keine Zahlen offen. Dasselbe Bild präsentierte sich bei den Delegiertenversammlungen, wo sich Frauen insbesondere bei den Parteien rechts der Mitte deutlich in der Minderheit befanden. Symptomatisch dafür waren Frauen im Jahr 2019 auch auf den Wahllisten in den meisten Kantonen immer noch untervertreten. Zwar nahm die Zahl der kandidierenden wie auch jene der gewählten Frauen vielerorts zu – so im Rahmen der Nationalratswahlen wie auch in den Kantonswahlen in Zürich, Tessin und Luzern – von einer paritätischen Vertretung sind die Parteien sowie die politischen Gremien in der Schweiz jedoch noch weit entfernt.

Diskriminierung von Politikerinnen wegen Mutterschaft

Neben der Untervertretung haben Frauen in der Politik mit zusätzlichen Hindernissen zu kämpfen, insbesondere im Falle der Mutterschaft. Üben Politikerinnen während dem offiziellen Mutterschaftsurlaub ihr Amt aus – etwa durch Teilnahme an einer Ratssitzung oder einer Abstimmung –, gilt dies als Wiederaufnahme der Arbeit, worauf ihr Anspruche auf Mutterschaftsentschädigung entfällt. Damit können Parlamentarierinnen de facto während vier Monaten weder ihre politischen Rechte ausüben noch ihren Wähler*innenauftrag wahrnehmen – auch, weil sie sich nicht stellvertreten lassen oder von zuhause ihre Stimme abgeben können.

Verschiedene Vorstösse auf kantonaler und nationaler Ebene haben versucht, diesen Missstand mit Stellvertretungslösungen oder einer Anpassung des Erwerbsersatzgesetzes zu beheben. Bislang wurde keiner der Vorschläge umgesetzt. Kathrin Bertschy, Nationalrätin und Co-Präsidentin von Alliance F, scheiterte mit diesem Anliegen jüngst vor Bundesgericht.

Schwierigkeiten ergeben sich für Mütter auch, wenn sie gemeinsam mit ihren Kindern an Sessionen und Abstimmungen teilnehmen möchten. Im Grossen Rat von Basel-Stadt wurde eine Mutter aus dem Ratssaal verwiesen, weil sie ihr Neugeborenes mitbrachte. Auf nationaler Ebene scheint der Umgang etwas liberaler – im Jahr 2018 konnte die Grüne Nationalrätin Irène Kälin ihren Sohn für die Herbstsession mit in den Nationalrat nehmen – trotzdem erschweren die parlamentarischen Strukturen jungen Müttern eine Politische Karriere. Präsenzpflicht, Abend- und Wochenendtermine sowie die Dauer von Sitzungen sind nur schwer mit Care-Arbeit zu vereinbaren – welche in der Realität vorwiegend von Frauen ausgeübt wird. Die Betreuungsarbeiten können gemäss einer Studie aus Österreich dazu führen, dass ein Einstieg in die Politik auf eine Lebensphase nach der Kinderbetreuung verschoben wird, oder ein Aufstieg in eine höhere Funktion in der Politik von Müttern nicht vollzogen oder gar nicht erst angestrebt wird. Oft ist die umfassende Hilfe der eigenen Herkunftsfamilie für Mütter unabdingbar, um eine politische Karriere zu realisieren. Bis heute fehlt es an einem minimalen Betreuungsangebot, bei welchem Parlamentarierinnen ihre Kinder etwa bei Abstimmungen für eine gewisse Zeit abgeben könnten. Dass dies ein gangbarer Weg sein könnte, zeigt eine kleine Gemeinde im Baselland: In Duggingen steht während der Gemeindeversammlungen ein Kinderhort zur Verfügung, welcher jeweils zwei bis zwölf Kinder betreut.

Die Diskriminierung aufgrund der Mutterschaft ist schliesslich nicht nur in den politischen Institutionen angelegt, sondern ebenso in den Gelegenheitsstrukturen der politischen Parteien. Stereotype Rollenbilder und Karrieremodelle weichen sich auch hier nur langsam auf. Längere Abwesenheiten oder weniger Flexibilität wegen Kindern und Familie stossen in den oft leistungsorientierten und patriarchalen Parteihierarchien auf wenig Verständnis, wodurch Müttern eine politische Karriere erschwert wird.

Sexismus und sexuelle Belästigung in der Politik

In einer Studie über Sexismus im Politischen Betrieb vom Institut für Demoskopie Allensbach wurden in Deutschland erstmals die Parteikulturen und die politische Teilhabe von Frauen umfassend untersucht. Die Studie verdeutlicht, welche Rolle Sexismus und sexistische Erwartungshaltungen als Hindernisse der politischen Partizipation von Frauen auch in der Schweiz spielen könnten.

Grundsätzlich berichten die Medien über männliche Politiker weitaus ausführlicher als ihre weiblichen Kolleginnen. Zudem konzentriert sich die Berichterstattung bei Männern stärker auf die politische Arbeit selbst, während Politikerinnen nach ihrem äusseren Erscheinungsbild und ihrem familiären Hintergrund bewertet werden. Um sich Diskussionen zu ersparen, investieren Politikerinnen zudem einen beträchtlichen Aufwand in ihre Aussehen (Kleidung, Makeup, Auftreten). Frauen müssen sich zudem deutlich häufiger zu ihren Rollen als Ehefrauen oder Mütter äussern und inwiefern sie gleichzeitig ein politisches Amt oder Mandat ausüben können. Das führt nicht zuletzt dazu, dass Frauen mehr Zweifel haben, ob sie den Anforderungen der Politik gerecht werden können. Neben der Präsenzkultur und der mangelnden Bemühungen der Parteien, den Frauenanteil zu erhöhen, werden auch die politische Diskussions- und Streitkultur sowie die Geringschätzung der Themen, für welche sich Frauen besonders interessieren, als Hindernisse genannt. Eine Studie aus Österreich ergab schliesslich, dass die primären Kompetenzbereiche von (kommunalen) Politikerinnen familiennahe Themen – wie Kinderbetreuung, Soziales und Bildung – sind. Dies auch, weil die genannten Bereiche oft aus einer geschlechterspezifischen Zuschreibung heraus gezielt den Frauen überlassen werden. Übernehmen Frauen tendenziell männerdominierte Themenbereiche, stossen sie teilweise auf grosse Widerstände von den involvierten männlichen Akteuren.

Nicht zuletzt ist die Politik immer noch von Alltagssexismus durchdrungen: Politikerinnen werden überhört, unterbrochen oder nicht zu Wort gelassen, sie werden lächerlich gemacht, es wird über ihre Stimme gelacht oder sie müssen sich unsachliche Kommentare zu ihrem Äusseren anhören. Auch in den sozialen Netzwerken sind Frauen in der Politik deutlich häufiger von sexistischen Kommentaren betroffen als Männer. Diese reichen von Beschimpfungen zum Aussehen, über obszöne Bemerkungen bis hin zu Androhungen sexueller Gewalt und Vergewaltigungen.

Schliesslich gaben 40 Prozent aller befragten deutschen Politikerinnen an schon einmal sexuelle Belästigung erlebt zu haben. Bei den Politikerinnen unter 45 Jahren sind es gar 60 Prozent. Dabei handelt es sich um anzügliche Bemerkungen zu Kleidung, Figur, Aussehen, um taxierende Blicke aber auch unerwünschte Annäherungsversuche und Berührungen. In Einzelfällen wurde von Angeboten für sexuelle Gegenleistungen berichtet.

Eine umfassende Studie zu Sexismus und sexueller Belästigung in der Schweizer Politik liegt bis heute nicht vor. Es ist jedoch naheliegend, dass sich diese Faktoren auch bezüglich der politischen Partizipation von Frauen in der Schweiz eine Rolle spielen.

Eine internationale Verpflichtung

Die Schweiz ist durch unterschiedliche menschenrechtliche Verträge und Empfehlungen dazu verpflichtet, Frauen und Männer tatsächlich und gleichberechtigt an der politischen Entscheidungsfindung zu beteiligen. In Anbetracht der genannten Defizite liegt die Annahme nahe, dass die Schweiz ihre menschenrechtlichen Verpflichtungen nicht vollumfänglich erfüllt.

Das Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau (CEDAW) aus dem Jahr 1979 verpflichtet die Vertragsstaaten in Artikel 7 dazu, den Frauen im politischen und öffentlichen Leben in umfassender Weise die gleichen Rechte zu gewährleisten. Neben dem Stimmrecht bei Wahlen und Volksabstimmungen und dem passiven Wahlrecht für alle öffentlich gewählten Gremien umfasst dies das Recht auf Mitwirkung an der Ausarbeitung der Regierungspolitik und deren Durchführung, auf Bekleidung öffentlicher Ämter und Wahrnehmung aller öffentlichen Aufgaben auf allen staatlichen Ebenen sowie das Recht auf Mitarbeit in nichtstaatlichen Organisationen und Vereinigungen, die sich mit dem öffentlichen und politischen Leben befassen. In Artikel 8 weitet das Abkommen diese Forderung auf die internationale Ebene und internationale Organisationen aus. Das Übereinkommen sieht weitere Massnahmen vor, welche Frauen in gleicher Weise wie Männern die Mitbestimmung ermöglichen soll.

Der UNO-Frauenrechtsausschuss, der für die Überwachung der Frauenrechtskonvention CEDAW zuständig ist, hat in seiner Allgemeinen Empfehlung zum politischen und öffentlichen Leben von 1997 verdeutlicht, dass das Konzept der Demokratie nur dann effektiv verwirklicht werden kann, wenn Frauen und Männer zu gleichen Teilen an der politischen Entscheidungsfindung beteiligt sind und die Interessen aller Geschlechter berücksichtigt werden (Ziff. 14). Als wichtigste Faktoren, welche Frauen von der politischen Partizipation abhalten, nennt der Ausschuss kulturelle Werte und religiöse Überzeugungen, das Fehlen von Dienstleistungen und die Tatsache, dass Männer die Care-Arbeit nicht mittragen (Ziff. 10). Er verfolgt schliesslich einen explizit materiellen und intersektionalen Ansatz, wodurch die Vertragsstaaten dafür zu sorgen haben, dass Frauen nicht nur theoretisch, sondern tatsächlich politisch mitwirken können. Dafür wird auch die effektive Gleichstellung hinsichtlich aller elementarer Voraussetzungen zur Ausübung politischer Rechte vorausgesetzt.

Weiter statuiert der UNO-Pakt über bürgerliche und politische Rechte, dass das Recht und die Möglichkeit der politischen Partizipation unter anderem ohne Unterschied des Geschlechts gewährleistet werden müssen (Art. 25 i.V.m. Art. 2 Abs. 1 UNO-Pakt II). Der UNO-Menschenrechtsausschuss hat die gleichberechtigte Gewährleistung der politischen Rechte in der Allgemeinen Bemerkung Nr. 25 zum Recht auf Beteiligung an öffentlichen Angelegenheiten, dem Wahlrecht und dem Recht auf gleichberechtigten Zugang zum öffentlichen Dienst sowie der Allgemeinen Bemerkung Nr. 28 zur Gleichberechtigung von Frauen und Männern bestärkt.

Die gleichberechtigte politische Partizipation von Frauen ist ebenso Bestandteil der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung, welche die Schweiz als UNO-Mitgliedsstaat mitträgt. Das Ziel Nr. 5.5 verlangt «die volle und wirksame Teilhabe von Frauen und ihre Chancengleichheit bei der Übernahme von Führungsrollen auf allen Ebenen der Entscheidungsfindung im politischen, wirtschaftlichen und öffentlichen Leben». In ihrem zweiten Länderbericht zur Umsetzung der Agenda 2030 vom Mai 2022 führte die Schweiz die «Teilhabe von Frauen am politischen und öffentlichen Leben» unter Fortschritte, nicht jedoch unter Herausforderungen auf.

Eine Gleichberechtigung von Frauen in der Politik strebt schliesslich auch der Europarat an. Das Ministerkomitee des Europarates hat im Jahr 2003 eine Empfehlung zur ausgewogenen Beteiligung von Frauen und Männern an politischen und öffentlichen Entscheidungsprozessen erlassen, die unter anderem positive Massnahmen – wie Quoten – vorsieht und eine Mindestvertretung von 40% der beiden Geschlechter in allen Entscheidungsgremien des politischen oder öffentlichen Lebens verlangt. Die politische Partizipation von Frauen nimmt auch in der aktuellen Gleichstellungsstrategie 2018-2023 des Europarates einen prominenten Platz ein. Schliesslich hat der Kongress der Gemeinden und Regionen des Europarates zuletzt im Jahr 2017 eine Empfehlung zur politischen Partizipation und Repräsentation von Frauen und im Jahr 2020 eine Empfehlung zur Bekämpfung des Sexismus gegen Frauen in der Politik auf kommunaler und regionaler Ebene erlassen.

Kritik der internationalen Menschenrechtsorgane

Die Schweiz wurde bereits von internationalen Menschenrechtsorganen für die mangelhafte politischen Partizipation von Frauen – insbesondere die niedrigen Frauenanteile in Führungs- und Entscheidungspositionen – gerügt. Der UNO-Frauenrechtsausschuss empfahl der Schweiz im Jahr 2016 die Umsetzung verschärfter Massnahmen zur Erhöhung des Frauenanteils im öffentlichen und politischen Leben auf allen drei Staatsebenen (Ziff. 31a). Zudem legte der Ausschuss der Schweiz die Durchführung von Sensibilisierungskampagnen nahe: Es müsse ein Bewusstsein dafür entwickelt werden, dass die uneingeschränkte, gleichberechtigte und freie Teilhabe von Frauen am politischen und öffentlichen Leben eine Voraussetzung für die volle Verwirklichung der Menschenrechte der Frauen sei (Ziff. 31b). Der Ausschuss kritisierte schliesslich auch die Rechtsprechung des Bundesgerichts, welche Frauenquoten für von der Bevölkerung gewählte Mandate als Verletzung der Wahlfreiheit (Art. 34 BV) qualifiziert (Ziff. 31c).

Der UNO-Menschenrechtsausschuss, welcher die Umsetzung des UNO-Pakts über bürgerliche und politische Rechte überwacht, zeigte sich 2017 besorgt über die Unterrepräsentation von Frauen in der Politik und forderte die Schweiz auf, ihre Bemühungen fortzusetzen. Im Jahr 2019 äusserte sodann der UNO-Ausschuss für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte Bedenken über die fortbestehenden Hindernisse, welchen Frauen beim Zugang zu leitenden und entscheidungsrelevanten Positionen ausgesetzt sind. Er empfahl der Schweiz die Förderung einer stärkeren Vertretung von Frauen auf allen Ebenen der öffentlichen Verwaltung, insbesondere in Entscheidungspositionen, voranzutreiben.

Fehlender politischer Wille

Obwohl hinsichtlich der politischen Partizipation von Frauen in der Schweiz noch grosser Handlungsbedarf besteht, ist rund um die Eidgenössischen Wahlen 2019 Bewegung in die Thematik gekommen. Am 8. März 2018 lancierte die Eidgenössische Kommission für Frauenfragen EKF die «halbe-halbe»-Kampagne und Alliance F. rief im Herbst desselben Jahres die überparteiliche Bewegung «Helvetia ruft» ins Leben. Beide Kampagnen setzten sich zum Ziel, den Frauenanteil in den Schweizer Parlamenten zu erhöhen. Mit Erfolg: Zum ersten Mal in der Schweizer Geschichte wurden mehr neue Frauen als neue Männer in beide eidgenössische Räte gewählt und in mehreren Kantonen hat sich die Zahl der weiblichen Kandidatinnen erhöht.

Obwohl die Schweiz bis anhin grosse Zurückhaltung bei der Ergreifung von Massnahmen zur Verbesserung der Frauenanteile in der Politik übt, gab es bereits vor 2019 Ansätze, um die politische Partizipation von Frauen zu erhöhen. So forderte die Volksinitiative «Für eine gerechte Vertretung der Frauen in den Bundesbehörden» vom 21. März 1995 Geschlechterquoten in der Bundesverwaltung, im National- und Ständerat, im Bundesrat und am Bundesgericht. Die Initiative wurde im Jahr 2000 mit 82 Prozent Nein-Stimmen abgelehnt.

Im Rahmen der Teilrevision des Bundesgesetzes über die politischen Rechte schlug der Bundesrat vor, in Artikel 86a eine gesetzliche Grundlage für die Durchführung von Informations- und Sensibilisierungskampagnen zur Förderung der politischen Partizipation der Frauen zu schaffen. Dieser Vorschlag wurde durch die eidgenössischen Räte am 20. Juni 2002 im Differenzbereinigungsverfahren aus dem Gesetzesentwurf gestrichen.

Im Jahr 2017 reichte Nationalrätin Sibel Arslan eine Parlamentarische Initiative ein, die eine Geschlechterquote auf den Nationalratslisten vorsah. Der Initiative wurde keine Folge gegeben. Bereits im Jahr 2015 hatte Yvonne Feri ein Postulat eingereicht, welches vom Bundesrat die Prüfung von Massnahmen forderte, die den Frauenanteil auf den Wahllisten aller föderalen Ebenen auf mindestens 40 Prozent erhöhen. Das Postulat wurde zurückgezogen. Eine Parlamentarische Initiative von Maya Graf verlangte 2017 eine Änderung von Artikel 175 Absatz 4 der Bundesverfassung, um eine angemessene Vertretung der Geschlechter im Bundesrat zu gewährleisten. Sie zog den Vorstoss zugunsten der Parlamentarischen Initiative von Raphaël Comte im Ständerat zurück, welche zusätzlich eine Ergänzung des Artikel 168 der Bundesverfassung verlangte: Die Bundesversammlung sollte bei allen Wahlen verpflichtet sein, auf eine angemessene Vertretung der Geschlechter zu achten. Der Vorstoss scheiterte schliesslich im Nationalrat.

Ein Problem für die Demokratie

Die politische Unterrepräsentation von Frauen stellt für die Demokratie in der Schweiz ein Problem dar. Ist die Politik von Männern dominiert, sind auch die politischen Prioritäten und die politische Kultur von männlichen Verhaltensweisen und Lebenserfahrungen geprägt. Hingegen werden Frauen – insbesondere trans Frauen und Frauen of Colour – und ihre politischen Anliegen an den Rand gedrängt. Obwohl mögliche wirksame Handlungsoptionen – wie verbindliche Quoten – längst bekannt sind, hat die Schweiz bis heute keine konkreten Massnahmen ergriffen, um die gleichberechtigte Teilnahme von Frauen an der Politik zu gewährleisten und ihren menschenrechtlichen Verpflichtungen vollumfänglich nachzukommen.

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