16.10.2012
Die zu restriktive Administrativhaft für Ausländer/innen und die mangelhafte Betreuung von inhaftierten Personen mit psychischen Störungen sind die wohl dringendsten Probleme im Schweizer Strafvollzug. Zu diesem Fazit kommt die Nationale Kommission zur Verhütung von Folter (NKVF) in ihrem am 11. Oktober 2012 veröffentlichten Tätigkeitsbericht. Ansonsten zieht die NKVF im Rückblick auf ihre Haftanstaltsbesuche im Jahr 2011 eine durchaus positive Bilanz.
- Tätigkeitsbericht NKVF 2011
NKVF, Tätigkeitsbericht vom 11. Oktober 2012 (pdf, 25 S.)
Zu strenges Haftregime für Ausländer/innen in Administrativhaft
Insgesamt besuchte die NKVF im Jahr 2011 schweizweit 15 Strafvollzugsanstalten sowie zwei Empfangs- und Verfahrenszentren im Asylbereich. Bei den meisten Besuchen kam sie zum selben Schluss: Dass «die materiellen Haftbedingungen in der Regel gut sind und das Strafvollzugspersonal sehr qualifiziert ist.» An zahlreichen Orten hat die Kommission bemängelt, dass die Insassen zu wenig über das Anstaltsleben, so etwa die geltenden Hausordnungen, informiert werden.
Was allen Haftanstalten indes grosse Mühe bereitet, ist laut der NKVF die parallele Führung verschiedener Haftregime, d.h. die Unterbringung verschiedener Kategorien von Häftlingen, welche unterschiedliche Rechte und Bedürfnisse haben. Gemeint sind etwa Minderjährige und Frauen, aber auch Untersuchungshäftlinge sowie Ausländer/innen in Administrativhaft. Letztere stehen im Fokus des Tätigkeitsberichts, dies weil sie häufig praktisch gleich wie Häftlinge im Strafvollzug behandelt werden und dadurch meist stark in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt sind. Im Gegensatz zum regulären Strafvollzug hat eine Person in Administrativhaft jedoch keine Straftat begangen, sondern es handelt sich einzig um eine auf das Ausländergesetz (AuG) gestützte Zwangsmassnahme, die dazu dienen soll, die Wegweisung einer Person ohne gültige Aufenthaltsbewilligung zu garantieren. Es müssten für diese Ausländer/innen entsprechend lockerere Haftbedingungen gelten.
Die NKVF empfiehlt den meisten Anstalten deshalb einen Ausbau des Beschäftigungs- und Sportangebots für Personen in ausländerrechtlicher Administrativhaft. Die NKVF hat etwa festgestellt, dass auch in eigens für die Ausschaffungshaft vorgesehenen Anstalten wie dem Flughafengefängnis Zürich oder dem Ausschaffungsgefängnis Bässlergut kaum genügend Bewegungsmöglichkeiten wie etwa Spazierhöfe vorhanden sind. Im Weiteren empfiehlt die NKVF für reguläre Haftanstalten bauliche Massnahmen, welche eine Trennung der verschiedenen Häftlinge erlauben, und betont, dass soziale Kontakte zur Aussenwelt mittels Telefon und Postverkehr für Ausländer/innen in Administrativhaft garantiert sein müssen.
- Grundsatzfragen zur Administrativhaft von Ausländerinnen und Ausländern
Humanrights.ch, 27. September 2016
Ungenügende Betreuung von Personen mit psychischen Problemen
Akut ist nach Aussagen des Kommissionspräsidenten Jean-Pierre Restellini auch die Situation von psychisch kranken Häftlingen. Häufig würden diese Personen in strikter Einzelhaft gehalten, ohne dass man ihnen ein Therapieprogramm anbiete. Die NKVF hat die Problematik in ihren Berichten zu den Haftanstalten auch schon mehrfach thematisiert – nachzulesen unter anderem in den folgenden Artikeln von Humanrights.ch:
- Erste Berichte der Nationalen Kommission zur Verhütung von Folter
Humanrights.ch, 13. Januar 2011 - Probleme im Schweizer Strafvollzug aus menschenrechtlicher Perspektive
Humanrights.ch, Abschnitt «fehlende Therapieplätze»
Weiter schreibt Restellini im Vorwort zum Tätigkeitsbericht: Ein Blick ins Ausland zeige, dass es im Strafvollzug durchaus bessere Betreuungsmodelle als das schweizerische gäbe, insbesondere für psychisch kranke Häftlinge. Der Austausch mit den europäischen Partnerorganisationen sei deshalb besonders wichtig.
Rück- und Ausblick auf die Arbeit der NKVF
Neben diesem Austausch in Europa hat die NKVF zudem ihre Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft und den Behörden auf nationaler Ebene vertieft. Auch deshalb scheint die NKVF nach bald drei Jahren Tätigkeit – am 1. Januar 2010 hat sie ihre Arbeit aufgenommen – mittlerweile als «unabhängiges nationales Gremium zur Kontrolle des Freiheitsentzugs» etabliert zu sein, wie NKVF-Präsident Restellini im Vorwort zum Tätigkeitsbericht schreibt. Die Akzeptanz zeige sich auch darin, dass die Kommission ihr Aufgabenfeld ausgedehnt habe und zum Beispiel seit Anfang 2012 auch offiziell das ausländerrechtliche Vollzugsmonitoring für zwangsweise Rückführungen auf dem Luftweg übernommen habe. Bereits 2011 hatten Mitglieder der Kommission fünf solche Rückführungen begleitet.
Zu Neuerungen wird es in der kommenden Zeit zwangsläufig kommen: Ende 2013 läuft nämlich die Amtszeit aller aktuellen Kommissionsmitglieder aus. Dazu schreibt Restellini vielsagend: «Diese Gelegenheit sollte genutzt werden, um die Strukturen wie auch die Bezeichnung der NKVF zu überprüfen.» Angesprochen ist hier unter anderem der etwas schief in der Gegend stehende Status der NKVF als verwaltungsrechtliche Kommission, nimmt sie doch in Tat und Wahrheit viel umfassendere, auch kontrollierende Aufgaben wahr.
Weiterführende Informationen
- Folterprävention – zweiter Tätigkeitsbericht der NKVF
NKVF, Medienmitteilung vom 11. Oktober 2012 - Anti-Folter-Kommission kritisiert Haftbedingungen
NZZ Online, Artikel vom 11. Oktober 2012