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Kulturelle Rechte von Minderheiten 

27.07.2016

Kulturelle, sprachliche und religiöse Rechte von Minderheiten sind im Art. 27 von UNO-Pakt II universell garantiert. Dennoch sind solche Rechte öfters gesellschaftspolitisch umstritten. Man denke nur an das Kopftuch von Musliminnen oder das Schächtverbot. Solche Konflikte werden gewöhnlich auf nationaler Ebene ausgetragen und nehmen oft die Form von Grundrechtskonflikten an.

Hat ein gläubiger Jude, der in der Schweiz den obligatorischen Militärdienst verrichtet, einen Anspruch auf eine Ernährungsweise, die seiner Auffassung der religiösen Vorschriften entspricht? Hat eine Lehrperson in der Schweiz das Recht, während des Unterrichts religiöse Symbole zu tragen? Haben in der Schweiz lebende Muslime einen Rechtsanspruch auf ein schickliches Begräbnis, das ihren religiösen Vorschriften entspricht? Hat ein Sikh-Bauarbeiter in der Schweiz das Recht, statt des obligatorischen Helms seinen Turban zu tragen? Hat ein Immigrant das Recht, gemäss den religiösen Traditionen seiner Herkunft im Aufnahmeland eine polygame Ehe zu schliessen? Solche und ähnliche mehr oder weniger umstrittene Fragen behandelt Walter Kälin aus einer grundrechtlichen Perspektive in der anregenden Monographie «Grundrechte im Kulturkonflikt» (2000).

Kälin unterscheidet die staatliche, die öffentliche und die private Sphäre, welche die Problemlagen für kulturelle Grundrechtskonflikte unterschiedlich vorstrukturieren. Im Bereich der staatlichen Sphäre, wo Personen dem direkten Regime der Staatsmacht unterstellt sind (z.B. im Militär oder im Gefängnis), geht es hauptsächlich um Rechtsgleichheit, das heisst um das Verbot der Diskriminierung von Angehörigen kultureller Minderheiten und den Genuss der gleichen kulturellen Rechte, die den Angehörigen der Mehrheit zugestanden werden.

Im Privatbereich sind staatliche Eingriffe normalerweise verboten. Allerdings hat auch die in liberalen Gesellschaften gut verankerte Toleranz gegenüber dem Privatbereich ihre Grenzen. Diese Grenzen bestimmt Kälin in einer Liste von präzisen Kriterien für staatliche Eingriffe. Dazu gehören unter anderem völkerrechtliche Normen wie das Verbot der Zwangsheirat, Werte wie der Schutz des Kindswohls oder der rechtlich verbindliche Kanon des ordre public.

Am meisten Schwierigkeiten bietet die Analyse der öffentlichen Sphäre. Darunter fällt der Schulbereich ebenso wie die Arbeitswelt. Hier steht das Abwägen zwischen den Interessen der strukturellen Integration und der kulturellen Autonomie von Migranten/-innen zur Debatte. Ausnahmeregelungen und Dispensationen sind als Resultat der Güterabwägung ebenso möglich wie Verbote und andere Beschränkungen der kulturellen Freiheit.