02.08.2017
Verbot der missbräuchlichen Kündigung
Im Arbeitsrecht gilt die Kündigungsfreiheit, d.h. die Kündigung kann grundsätzlich aus irgendwelchen Gründen ausgesprochen werden. Untersagt ist lediglich die missbräuchliche Kündigung. Gemäss Art. 336 Abs. 1 OR ist eine Kündigung missbräuchlich, wenn das Arbeitsverhältnis aus einem der folgenden Gründe aufgelöst wird:
Herkunft, Hautfarbe, ethnische Zugehörigkeit, Religion, Geschlecht, sexuelle Orientierung, Alter, Familienstand, individuelle körperliche Merkmale, individuelle Verhaltensmuster, Charakterzüge (z.B. Verschlossenheit, Erregbarkeit, Pedanterie) oder Vorstrafen.
Allerdings ist eine solche Kündigung dennoch gerechtfertigt, wenn die Eigenschaft im Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis steht oder wenn sie die Zusammenarbeit im Betrieb wesentlich beeinträchtigt, bspw. wenn der Gekündigte Charaktereigenschaften wie Unverträglichkeit, übermässige Empfindlichkeit, Unkollegialität, Querulantentum an den Tag legt.
Auch persönliche Eigenschaften können eine Kündigung rechtfertigen, wenn sie zu einer wesentlichen Beeinträchtigung des Betriebes führen, d.h. unzumutbare Umstände herbeiführen. Die Arbeitgebenden müssen jedoch alle zumutbaren Vorkehrungen zur Verbesserung des Arbeitsverhältnisses wie Ermahnung, Gespräch, interne Versetzungen etc. getroffen haben, bevor sie die Kündigung aussprechen.
Kündigung wegen Ausübung verfassungsmässiger Rechte (Art. 336 Abs. 1 lit. b OR)
Verfassungsmässige Rechte sind alle geschriebenen oder ungeschriebenen Grundrechte wie Glaubens- und Gewissensfreiheit, Persönliche Freiheit, Meinungsäusserungsfreiheit, Versammlungsfreiheit inkl. Demonstrationsfreiheit, Vereinsfreiheit (u.a. Mitgliedschaft in einer Gewerkschaft), Pressefreiheit, Ehefreiheit, Rechte der politischen Mitwirkung (Initiative, Referendum, Petition) sowie die Bekleidung öffentlicher Ämter.
Der sachliche Kündigungsschutz anerkennt auch hier zwei Rechtfertigungsgründe, und zwar, wenn die Ausübung verfassungsmässiger Rechte eine Pflicht aus dem Arbeitsverhältnis, insbesondere Treuepflicht verletzt oder die Zusammenarbeit im Betrieb wesentlich beeinträchtigt.
Wie bei der Kündigung wegen persönlichen Eigenschaften muss auch hier von den Arbeitgebenden verlangt werden, dass vorgängig alle erforderlichen Vorkehrungen zur Verhinderung von Beeinträchtigungen der Zusammenarbeit im Betrieb getroffen wurden. Ausserdem ist eine Kündigung nur gerechtfertigt, wenn die Beeinträchtigung wesentlich ist, d.h. unzumutbare Umstände vorliegen.
Weitere missbräuchliche Kündigungen
Weitere Tatbestände, die als missbräuchlich gelten, die aber nicht die hier besprochene Thematik betreffen: Vereitelung der Entstehung von Ansprüchen aus dem Arbeitsverhältnis (Art. 336 Abs. 1 lit. c OR); Rachekündigung (Art. 336 Abs. 1 lit. d OR); Militärdienst etc. (Art. 336 Abs. 1 lit. e OR); Gewerkschaftszugehörigkeit (Art. 336 Abs. 2 lit. a OR); Funktion als Arbeitnehmervertretung (Art. 336 Abs. 2 lit. b, Art. 336 Abs. 3 OR); Massenentlassungen (Art. 336 Abs. 2 lit. c OR)
Die Aufzählung der Missbrauchstatbestände in Art. 336 OR ist jedoch nicht abschliessend (BGE 125 III 72 E. 2a):
- BGE 125 III 72 f: Die Kündigung wegen einer Leistungseinbusse, die sich als Folge des vom Arbeitgeber nicht verhinderten Mobbings erweist.
- BGE 118 II 157 E. 4b/cc, ee: Art und Weise der Rechtsausübung, namentlich eine schwere Persönlichkeitsverletzung im Umfeld einer Kündigung, kann diese als missbräuchlich erscheinen lassen.
- Urteil des Bundesgerichts, I. Zivilabteilung, 18. Dezember 2001 (4C.253/2001): Die Kündigung, um den Streit zwischen zwei Arbeitnehmern zu beenden, wenn der Arbeitgeber seine Fürsorgepflicht dadurch verletzt hat, dass er keine genügenden Massnahmen zur Entschärfung des Konflikts ergriffen hat.
Vorgehen und Fristen
Hat die gekündigte Partei den Eindruck, die Kündigung sei missbräuchlich, muss sie gem. Art. 335 Abs. 2 OR zuerst von der Arbeitgeberin eine schriftliche Begründung verlangen.
Danach muss bis zum Ende der Kündigungsfrist bei der Gegenpartei schriftlich Einsprache erhoben werden. Eine gültige Einsprache setzt voraus, dass der Gekündigte klar zum Ausdruck bringt, das Arbeitsverhältnis fortsetzen zu wollen.
Eine unwahre Begründung lässt die Kündigung nicht missbräuchlich werden. Wird jedoch ein unwahrer Grund vorgeschoben oder eine Begründung verweigert, so ist die Kausalität des Missbrauchstatbestandes zu vermuten. Werden für den Kündigungsentschluss mehrere Gründe genannt, wovon einige missbräuchlich sind, andere hingegen nicht, so stützt sich der Entscheid über die Missbräuchlichkeit der Kündigung auf denjenigen Kündigungsgrund ab, der für den Kündigenden wahrscheinlich der überwiegende und ausschlaggebende Grund zur Kündigung war (BGE 125 III 277). Es obliegt den Kündigenden nachzuweisen, ob sie auch ohne den missbräuchlichen Grund das Arbeitsverhältnis aufgelöst hätten.
Kommt darauf keine Einigung zustande, hat die gekündigte Partei gem. Art. 336b Abs. 2 OR innert 180 Tagen nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses Klage beim zuständigen Gericht einzureichen.
Beweislast
Die Kündigungsempfangenden, i.d.R. die Arbeitnehmenden, müssen nicht nur die Missbräuchlichkeit der Kündigung, sondern auch den direkten Zusammenhang zwischen dem Missbrauchtatbestand und der Kündigung beweisen, d.h. sie müssen beweisen, dass ihnen tatsächlich aus dem missbräuchlichen Grund gekündigt worden ist. Je nach Situation ist dieser Beweis schwer zu erbringen, weshalb die Lehre und Rechtsprechung eine hohe Wahrscheinlichkeit (Indizienbeweis) genügen lassen (BGE 125 III 277). Ein enger zeitlicher Zusammenhang zwischen Grund und Kündigung genügt.
Sanktionen
Gemäss Art. 336a OR ist eine missbräuchliche Kündigung gültig, d.h. die Kündigung wird, obwohl missbräuchlich, nicht rückgängig gemacht. Die Gekündigten haben lediglich Anspruch auf eine Entschädigung, die der Richter unter Würdigung aller Umstände des Einzelfalles festsetzt und welche den Betrag von sechs Monatslöhnen der Arbeitnehmenden nicht übersteigt.