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Leichte Sprache statt Beamtenjargon verbessert den Zugang zu Informationen

28.12.2015

Erstmals hat im Mai 2015 eine öffentliche Verwaltung in der Schweiz einen offiziellen Text in «Leichter Sprache» veröffentlicht. Das Konzept der Leichten Sprache ist noch jung; es verschafft Menschen mit geistiger Beeinträchtigung Zugang zu Informationen. Mehr Erfahrungen mit den Herausforderungen der Leichten Sprache als die Schweiz hat gegenwärtig Deutschland. Die Schweiz sollte davon profitieren.

Der Zugang zu Information ist ein Recht, das allen zusteht

Nur wer Informationen versteht, kann auch mitreden und für sich wichtige Entscheide treffen. Der Zugang zu Information ist eine zentrale Voraussetzung für eine selbstbestimmte Lebensweise und die Teilhabe an allen gesellschaftlichen Teilbereichen. Die Zugänglichkeit muss für alle Menschen gewährt sein, unabhängig von einer allfälligen Beeinträchtigung. Videos in Gebärdensprache ermöglichen Hörbehinderten den Zugang, gesprochene Sprache Sehbehinderten. Menschen mit kognitiven und psychischen Beeinträchtigungen oder Lern-Schwierigkeiten haben andere Bedürfnisse. Ihr Zugang zu Information hängt davon ab, dass ihnen Informationen so verständlich wie möglich vermittelt werden.

Ein Traum?

«Das ist mein Traum: Dass ich die Briefe vom Amt lesen kann, ohne dass mir erst jemand erklären muss, was da drin stehen tut. Wenn die Sätze so lang sind, dann ist das für mich zu schwer. Dann habe ich schon gar keine Lust mehr weiter zu lesen. Aber wenn die Sätze kurz sind, und die Schrift schön gross, dann kann ich das auch gut lesen», schreibt ein Mann mit Lern-Schwierigkeiten in einer Broschüre des deutschen Bundesministeriums für Arbeit und Soziales. Das Ministerium hat Anfang 2015 einen Leitfaden zur Leichten Sprache herausgegeben mit dem Ziel, die Leichte Sprache weiter zu verbreiten, insbesondere in Bundesbehörden.

Was ist Leichte Sprache?

Das Konzept der Leichten Sprache ist 2006 vom Verein Netzwerk Leichte Sprache mit Mitgliedern aus Deutschland, Österreich, der Schweiz, Italien und Luxemburg erstellt worden. Ziel der Leichten Sprache ist es, kommunikative Hürden abzubauen.

In Deutschland hat sich unter anderem das Deutsche Institut für Menschenrechte (DIMR) stark für die Förderung der Informationsvermittlung in Leichter Sprache eingesetzt und in vorbildlicher Weise Dokumentationen in Leichter Sprache zugänglich gemacht.

Wer in Leichter Sprache kommuniziert, verwendet grosse Schrift, einfache Wörter, kurze Sätze und vermeidet Passivformulierungen. Abkürzungen sind nicht erlaubt, dafür sind Bilder gefragt. Wichtig ist zudem, dass Menschen mit Lern-Schwierigkeiten den Text prüfen. Es gibt in Deutschland Übersetzungsbüros, die sich auf Leichte Sprache spezialisiert haben. Auch in der Schweiz konnten Übersetzer/innen für die Leichte Sprache erste Erfahrungen sammeln.

St. Gallens Pioniertat

Im Frühling 2015 hat St. Gallen als erster Kanton der Schweiz ein offizielles Dokument in die Leichte Sprache übersetzen lassen. Es handelt sich dabei um den Kantonalen Bericht zum Gesetz für Menschen mit Behinderung. Mit diesem Bericht «will das Amt für Soziales nicht sichtbare Barrieren in der Kommunikation abbauen, die sonst für Menschen mit geistigen Beeinträchtigungen unüberwindbar sind», wie die Behörde in einer Medienmitteilung schreibt.

Der Bericht liefert Erklärungen zum Gesetz über soziale Sicherung und Integration von Menschen mit Behinderung. Das Amt begründet die Verwendung der Leichten Sprache in seiner Mitteilung mit dem Hinweis, dass Betroffene verstehen sollen, was der Kanton für sie tue.

Für den Moment plant der Kanton St. Gallen nicht, dass weitere Erlasse oder Angebote in Leichter Sprache veröffentlicht werden. Es besteht also kein umfassendes Konzept für den Einbezug der Leichten Sprache in die behördliche Kommunikationspraxis. Nach Auskunft des Leiters der Abteilung Behinderung, Beat Ernst, bestehen einige Ideen für weitere Schritte: Denkbar wäre demnach, dass ein Teil der Amts-Website in Leichter Sprache aufgeschaltet wird. Zudem könnte der 2017 anstehende Wirkungsbericht zum Gesetz über soziale Sicherung und Integration von Menschen mit Behinderung, bzw. eine Zusammenfassung daraus, in Leichter Sprache erscheinen.

Die Vorgaben der Behindertenrechtskonvention

In der Schweiz gibt es gemäss einer Studie aus dem Jahr 2007 knapp eine Million Menschen, die von einer Leseschwäche betroffen sind. Der Bedarf an Informationen, die in Leichter Sprache vermittelt werden, besteht also durchaus. Der Eidg. Beauftragte für die Gleichstellung von Behinderten (EBGB) hat 2012 erstmals Informationen zur Verwendung der Leichten Sprache bereitgestellt. Seither hat sich bei den Behörden wenig Sichtbares bewegt bis zum jetzigen Erlass des Kantons St. Gallen. Dies dürfte sich in naher Zukunft ändern.

Die von der Schweiz 2014 ratifizierte UNO-Behindertenkonvention fordert, dass für Menschen mit Behinderungen Barrieren abgebaut werden, die es ihnen erschweren, ein selbstbestimmtes Leben zu führen. Ziel ist, dass Menschen mit Behinderungen die Angebote ebenso gut nutzen können, wie andere Menschen. Ein wesentlicher Schritt hierzu ist die Zugänglichkeit (Art. 9 Behindertenkonvention).

Der UNO-Ausschuss für die Rechte von Behinderten hat sich in einer Allgemeinen Bemerkung zur Zugänglichkeit geäussert. Demnach müssen nicht nur Gebäude und Verkehrsmittel zugänglich sein, sondern auch Informationen. Ohne den Zugang zu Informationen sind zentrale Rechte von Behinderten nicht gewährleistet, etwa die Meinungsäusserungsfreiheit oder politische Rechte. Der Staat muss seine Erlasse gemäss dem Ausschuss in Easy-To-Read-Formaten wie der Leichten Sprache verfügbar machen, damit sie von Menschen mit geistiger Beeinträchtigung verstanden werden. Ausserdem sollen Internet-Seiten, die Formulare oder Empfehlungen zur Verfügung stellen, barrierefrei werden, damit sie von allen Menschen benutzt werden können. Konkret erwähnt der Ausschuss diese Easy-To-Read-Formate übrigens auch im Zusammenhang mit Wahlen und Abstimmungen.

Bestehende Angebote

Das Eidg. Büro für die Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen (EBGB) hat im Dezember 2015 das Behinderten-Gleichstellungsgesetz (BehiG) sowie die Behindertenrechtskonvention (BRK) in Leichter Sprache sowie in Gebärdensprache veröffentlicht.

Hilfreich für die allgemeine Barrierefreiheit von Internetangeboten dürfte zudem der Leitfaden «Einfach Surfen» sein. Er ist in Kooperation zwischen insieme Schweiz, der Hochschule für Soziale Arbeit FHNW und der Stiftung Zugang für alle entstanden. Er zeigt unter anderem auf, was Webdesigner, Programmierer oder Redaktionsmitglieder tun können, um zu einer besseren Zugänglichkeit beizutragen. Der Leitfaden enthält unter anderem Empfehlungen für die Verwendung von Leichter Sprache.

Mit Leichter Sprache arbeiten in der deutschsprachigen Schweiz vorerst zwei Organisationen. Anfang 2015 hat in Zürich das Büro für leichte Sprache von Pro Infirmis den Betrieb aufgenommen. Es übersetzt unter anderem im Auftrag von Verwaltungen Texte in Leichte Sprache. Ein ähnliches Angebot bietet in Basel das Büro Leichte Sprache der Stiftung Wohnwerk.

Nicht zuletzt befassen sich einige Hochschulen in der Deutschschweiz intensiv mit dem Thema. Die Fachhochschule Nordwestschweiz bietet für Heilpädagogen/-innen einen Weiterbildungskurs für Leichte Sprache an. Die Universität Zürich befasst sich im Rahmen des partizipativen Forschungsprojekts Biografieforschung und geistige Behinderung mit Leichter Sprache und das Departement Angewandte Linguistik der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) forscht im Bereich Barrierefreie Kommunikation und setzt sich dabei auch mit der Thematik Leichte Sprache auseinander.

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