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Schweiz als Vermittlerin zwischen Armenien und der Türkei

29.10.2009

Am 10. Oktober 2009 haben in Zürich die Aussenminister von Armenien und der Türkei zwei Abkommen zur gegenseitigen Annäherung unterzeichnet. Das Eidg. Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA) hatte zwischen den beiden Staaten erfolgreich vermittelt.

Das erste Abkommen leitet die Wiederaufnahme der diplomatischen Beziehungen ein, die seit 1993 auf Eis gelegt sind. Damals schloss die Türkei die Grenze zu Armenien und unterstützte damit Aserbeidschan in dessen Konflikt mit Armenien. Streitpunkt war die Kontrolle über die Enklave Berg-Karabach, die von Armeniern bewohnt wird. Der Verzicht auf türkischer Seite ist gross: Sie ist jetzt zum Dialog bereit, ohne in der Karabach-Frage Konzessionen erhalten zu haben. Bisher war dies Grundbedingung für eine Öffnung gegenüber Armenien gewesen.

Armenien seinerseits verzichtet auf die Rückkehr zum Grenzverlauf, wie er 1921 im Vertrag von Kars zugesichert worden war. Noch grösser wiegt das Zugeständnis, dem sich die Armenier bisher mit allen Mitteln widersetzt hatten: Die Einsetzung einer Historikerkommission, die im zweiten Vertrag geregelt ist. Sie soll den mutmasslichen Genozid der Türken an 1,5 Mio. Armeniern in Anatolien im Jahr 1915 untersuchen. Die Türkei dagegen spricht von 200'000 bis 300'000 Opfern, die bei "normalen" Kriegshandlungen umgekommen seien. Die Begriffe Völkermord oder Genozid wies sie immer barsch zurück.

Die beiden Abkommen müssen nun noch von den nationalen Parlamenten in der Türkei und in Armenien gutgeheissen werden. Es ist damit zu rechnen, dass die Abkommen nicht unumstritten sein werden.

Wiederaufnahme der diplomatischen Beziehungen dank Schweizer Bemühungen?

Aussenministerin Micheline Calmy-Rey hatte im April 2009 bestätigt, dass die Schweiz seit einigen Monaten zwischen den beiden verfeindeten Nachbarstaaten Armenien und Türkei vermittelte. Die beiden Staaten hätten die Schweiz als Vermittlerstaat angefragt. Zum effektiven Verlauf der Verhandlungen wollte Calmy-Rey damals jedoch keine weiteren Informationen geben.

Die Beziehungen zwischen den beiden Staaten sind schlecht, weil sich die Türkei immer wieder vehement dagegen wehrt, die unzähligen Morde an den Armeniern zwischen 1915 und 1917 durch die Soldaten des Osmanischen Reichs als Völkermord anzuerkennen. Zusätzlich verschlechtert wurde das Verhältnis zwischen Armeniern und Türken durch die Besetzung von Berg Karabakh 1992 durch Armenien und den Konflikt zwischen den beiden Nachbarstaaten Aserbaidschan und Armenien. Die Türkei, welche wegen Erdöl- und Gaslieferungen wirtschaftlich mit Aserbaidschan verbunden ist, hält seit 1993 die Grenzen zu Armenien geschlossen.

Laut «Wall Street Journal» steht der Türkei-Armenien Konflikt jetzt aber vielleicht vor einem Wendepunkt: Beide Länder hätten sich dafür bereit erklärt, über die Wiedereröffnung und Stabilisierung der Grenze, die Wiederaufnahme von diplomatischen Beziehungen sowie über die Einrichtung von Kommissionen zur Konfliktaufarbeitung zu verhandeln. Laut Experten könnte dies die Geopolitik der ganzen Kaukasusregion beeinflussen.

Ob und inwiefern die Vermittlungstätigkeit der Schweiz hinter diesen ersten Fortschritten steht, dazu hat sich das Eidg. Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA) bisher nicht geäussert. Die «Gesellschaft Schweiz- Armenien» zeigt sich jedoch skeptisch: Die Schweiz habe bis jetzt auf zu wenig Klarheit gedrängt, als dass die Gespräche einen Erfolg versprechen könnten.

Die Vermittlungstätigkeit des EDA zwischen der Türkei und Armenien war bekannt geworden, weil Bundesrätin Micheline Calmy-Rey während dem 2. Forum der Allianz der Zivilisationen mit US-Präsident Obama und den armenischen und türkischen Aussenministern zusammen traf. Daraufhin wurde auf dem Blog des Weissen Hauses ein Foto der vier Politiker publiziert, auf welchem die Schweizer Aussenministerin als Mediator (Vermittler) im Konflikt bezeichnet wird. 

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Streit mit der Türkei wegen Leugnung des Armenier-Völkermords

(Artikel vom 29.08.2005)

Die Staatsanwaltschaft Winterthur hat Ermittlungen gegen den türkischen Politiker Dogu Perinçek aufgenommen, nachdem dieser an einer öffentlichen Veranstaltung in der Schweiz den Völkermord an den Armeniern als eine «imperialistische Lüge» bezeichnet hatte. Die Leugnung von Völkermorden und Verbrechen gegen die Menschlichkeit steht in der Schweiz im Antirassismusgesetz unter Strafe.
Das Aktivwerden der Schweizer Justiz hat die Türkei zu einer scharfen diplomatischen Reaktion veranlasst.

Im Dezember 2003 hatte der Nationalrat den Völkermord an den Armeniern im Jahre 1915 mit 107 zu 67 Stimmen anerkannt. Die bilateralen Beziehungen zwischen der Schweiz und der Türkei sind seither angespannt.

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