09.06.2017
Die Arbeitsgruppe Aussenpolitik der NGO-Plattform Menschenrechte hat am 9. Juni 2017 das Diskussionspapier: «Wo bleibt die Kohärenz? Menschenrechte und Schweizer Aussenpolitik» veröffentlicht.
Das 40 Seiten umfassende Diskussionspapier wurde am 19. Juni 2017 an der Jahrestagung der NGO-Plattform «Von Menschenrechten reden ist gut. Handeln ist besser» in Bern zur Debatte gestellt. Vertreter/innen aus der Wissenschaft, Politik, Bundesverwaltung und insbesondere von Menschenrechtsorganisationen diskutierten Lösungsansätze für mehr menschenrechtliche Kohärenz in der Aussenpolitik.
- Wo bleibt die Kohärenz? Menschenrechte und Schweizer Aussenpolitik
Diskussionspapier der Arbeitsgruppe Aussenpolitik der NGO-Plattform Menschenrechte (pdf, 40 S.)
Zusammenfassung der Studie
Fundamentale Menschenrechte geraten zunehmend unter Druck: in bewaffneten Konflikten, im Kampf gegen den Terrorismus, bei der Abwehr von Migration, in der wachsenden Zahl autoritärer Staaten und durch eine entfesselte Globalisierung mit vielen Verlierer/innen. Gerade für einen Kleinstaat wie die Schweiz ist es
jedoch von grosser Bedeutung, dass sich die Staatengemeinschaft an internationales Recht hält. Zudem hat die Schweiz als Depositarstaat der Genfer Konventionen und als Sitz zahlreicher UNO-Menschenrechtsorgane eine besondere menschenrechtliche Verantwortung. Um als glaubwürdige Vertreterin der Menschenrechte auftreten zu können, muss ihre Aussenpolitik menschenrechtlich kohärent sein. Die damit verbundenen Herausforderungen sind Ausgangspunkt dieses Diskussionspapiers.
Was ist eine menschenrechtlich kohärente Aussenpolitik?
Menschenrechtliche Kohärenz in der Aussenpolitik meint, dass alle Politikbereiche und Verwaltungseinheiten ihre Mitverantwortung für die Achtung und Förderung der universellen Menschenrechte aktiv wahrnehmen. Eine menschenrechtlich kohärente Aussenpolitik weist drei Dimensionen auf:
- Vertikale Dimension: Jedes aussenpolitische Handeln ist daran zu messen, ob es die Menschenrechte respektiert und den Menschenrechtsschutz stärkt.
- Horizontale Dimension: Keine sektorielle Aussenpolitik (Aussenwirtschaft, Handel, Sicherheit, Frieden, Entwicklung, Migration, Gender, Umwelt, Gesundheit usw.) darf Massnahmen ergreifen, welche im Widerspruch zu den Schwerpunkten und Zielsetzungen der schweizerischen Menschenrechtsaussenpolitik stehen.
- Transversale Dimension: Widersprüche zwischen der Aussenpolitik und Bereichen der Innenpolitik müssen von der Politik systematisch bearbeitet werden.
Klare Rahmenbedingungen, schwache Umsetzung
Das Diskussionspapier analysiert in einem ersten Schritt die rechtlichen und politischen Rahmenbedingungen für eine menschenrechtlich kohärente Aussenpolitik. Dazu zählen die Bundesverfassung, die bindenden völkerrechtlichen Verpflichtungen der Schweiz, internationale Vereinbarungen wie die UNO-Agenda 2030 sowie politische Strategien und Verlautbarungen des Bundesrates.
In einem zweiten Schritt wird die Umsetzung im politischen Alltag diskutiert. Seit 25 Jahren verlangen parlamentarische Aufsichtsorgane, Fachpersonen innerhalb und ausserhalb der Bundesverwaltung und der Bundesrat in seinen strategischen Dokumenten eine verbesserte Politikkohärenz. Mit einem Fokus auf Kohärenzfragen zwischen den Departementen der Bundesverwaltung beleuchtet das Diskussionspapier bestehende Mechanismen und Instrumente kritisch. Es wird konstatiert, dass sich die Politik hinter dem Konkordanzsystem versteckt, das auf Konsens ausgerichtet ist, der nicht zwingend auf einen menschenrechtlichen Massstab ausgelegt ist. Nach wie vor fehlen eine Gesamtstrategie und ausreichende Ressourcen als Voraussetzung für verbindliche Verfahren zu einer menschenrechtlich kohärenteren Aussenpolitik. Mehr noch: In verschiedenen Politikbereichen wächst gar die Kluft zwischen deklarierten Zielen und handfester Interessenpolitik.
Dieser Befund wird in einem nächsten Schritt mit dreizehn Fallbeispielen aus der täglichen Menschenrechtsarbeit zivilgesellschaftlicher Organisationen unterlegt. Die Beispiele illustrieren menschenrechtliche Inkohärenzen in der schweizerischen Aussenpolitik in so unterschiedlichen Bereichen wie der Migrations-, Gleichstellungs-, Umwelt-, Finanz- oder Rüstungspolitik. Dabei weisen die zahlreichen Fälle aus dem Bereich Aussenwirtschaftspolitik auf das besonders ausgeprägte Spannungsfeld zwischen Wirtschaftsinteressen und Menschenrechten hin.
Erkenntnisse und Forderungen
Als Fazit hält das Diskussionspapier folgende Erkenntnisse fest:
Erstens ist menschenrechtliche Kohärenz in der Aussenpolitik als ein umfassendes Konzept zu verstehen, um gleichzeitig die vertikale (normative), horizontale (bereichsübergreifende) und transversale Kohärenzdimension (Verknüpfung von Innen- und Aussenpolitik) ins Blickfeld zu rücken.
Zweitens ist bei Regierung und Verwaltung ein gestiegenes Bewusstsein für die Bedeutung von Politikkohärenz zu beobachten. Dies umfasst auch ein verbessertes Verständnis der unterschiedlichen Dimensionen von Kohärenz und ein grösseres Bewusstsein für die Notwendigkeit menschenrechtlicher Kohärenz.
Drittens wird aber ein Treten an Ort konstatiert: Die Diskussionen um eine menschenrechtlich kohärente Aussenpolitik in der Schweiz werden seit vielen Jahren geführt und haben in jüngster Zeit auch in der Öffentlichkeit an Intensität zugenommen. Über die rhetorische Ebene hinaus sind aber kaum inhaltliche Fortschritte, d. h. konkrete Verbesserungen auf institutioneller und politischer Ebene, zu verzeichnen.
Viertens hängen die ausbleibenden Fortschritte damit zusammen, dass sowohl formalisierte Prozesse wie auch effektive Instrumente zur Umsetzung und Überprüfung menschenrechtlicher Kohärenz in der Aussenpolitik weitgehend fehlen.
Fünftens zeichnen sich die bestehenden verwaltungsinternen Koordinations- und Konsultationsmechanismen wie auch die bundesrätlichen Entscheidungsprozesse durch einen hohen Grad an Intransparenz aus. Ebenso fehlen die notwendigen Ressourcen weitgehend.
Im Bemühen, zu einer verbesserten menschenrechtlichen Kohärenz in der Aussenpolitik der Schweiz beizutragen, stellt das Diskussionspapier abschliessend fünf Forderungen auf:
- Auf strategischer Ebene braucht es in der Aussenpolitik eine übergreifende nationale Menschenrechtsstrategie, die vom Gesamtbundesrat verantwortet wird.
- Um die horizontale Kohärenz der Menschenrechtspolitik zu verbessern, muss ein wirksames Querschnittsorgan in der Verwaltung geschaffen werden. Eine solche interdepartementale Koordinationsstelle für Menschenrechte muss insbesondere Zielkonflikte eruieren und Entscheidungsgrundlagen zur deren Bearbeitung bereitstellen.
- Um die vertikale Kohärenz der Menschenrechtspolitik zu verbessern, braucht es systematische Menschenrechtsverträglichkeitsprüfungen.
- Im Sinne einer Selbstevaluation muss der Bundesrat die Berichterstattung an das Parlament ausbauen. Diese sollte verstärkt der Transparenz, dem politischen Dialog und der strategischen Planung dienen.
- Schliesslich muss im Sinne einer externen Evaluation die künftige Nationale Menschenrechtsinstitution Monitoringaufgaben übernehmen. Sie kann einen wichtigen Beitrag zur Erarbeitung und Umsetzung der notwendigen Neuerungen leisten und damit – gemeinsam mit weiteren Akteuren /-innen – dazu beitragen, dass das Bemühen um menschenrechtliche Kohärenz in der Aussenpolitik der Schweiz über reine Absichtserklärungen hinausgeht.