humanrights.ch Logo Icon

Bericht des Bundesrats über die Menschenrechtsaussenpolitik der Schweiz 2015–2018

18.02.2019

Im vierjährlichen Bericht über die Menschenrechtsaussenpolitik der Schweiz zeigt der Bundesrat auf, dass die Menschenrechte unter zunehmendem internationalen Druck stehen. Er postuliert Kohärenz zwischen Menschenrechten und verschiedenen Politikfeldern. Und er beschreibt Instrumente und Schwerpunkte der Menschenrechtsarbeit im Ausland.

Der Bundesrat hat den Bericht 2015–2018 am 30. Januar 2019 als Anhang zum Aussenpolitischen Bericht 2018 verabschiedet. Das Dokument bietet auf 18 Seiten eine äusserst knappe Bestandesaufnahme der vierjährigen Berichtsperiode. Der Bundesrat kommt damit einem Auftrag des Parlaments nach, der auf einem Postulat der Aussenpolitischen Kommission des Nationalrats vom 14. August 2000 (00.3414) beruht.

Während die Bestandesaufnahme einen guten Überblick über die zweifellos in manchen Teilen qualifizierte und breit anerkannte schweizerische Menschenrechtsaussenpolitik liefert, geht sie auf zentrale Anliegen des Postulats nicht ein. So fehlt die verlangte Darstellung «menschenrechtlicher Kriterien» in den verschiedenen «Politikbereichen (insbesondere Entwicklungs-, Aussenwirtschafts-, Migrations- und Friedenspolitik usw.)»; so ist die «Offenlegung der Interessenkonflikte», in denen «Werte der Menschenrechte gegen andere Werte abgewogen werden» nirgends zu finden; und so wird kaum kritisch Rechenschaft abgelegt über den geforderten «Einbezug von Zivilgesellschaft, Wirtschaft und Wissenschaft zur Weiterentwicklung der Menschenrechtspolitik».

Menschenrechte unter Druck

Eine Kurzanalyse der internationalen Politik führt die Lesenden in den Bericht ein. Dabei wird deutlich, dass die Menschenrechte «zunehmend unter Druck» stehen, nicht zuletzt durch ihre Einschränkung im Rahmen der Bekämpfung des gewalttätigen Extremismus. Staaten, die den Menschenrechten gegenüber kritisch eingestellt sind, gewinnen an Macht und Einfluss. «Nationale und internationale Menschenrechtsorganisationen werden mit dem Verweis auf die nationale Sicherheit oder die Verteidigung der staatlichen Souveränität zunehmend in ihrer Arbeit behindert, ihrer finanziellen Grundlagen beraubt und kriminalisiert.» Menschenrechtsverteidiger/innen seien «häufig Repressalien wie Verhaftung, Einschüchterung, Verschwindenlassen oder gar Hinrichtungen ausgesetzt».

Es wird auch auf Fortschritte aufmerksam gemacht, etwa im Bereich internationale Strafgerichtsbarkeit oder bezüglich des historisch noch nie so hohen weltweiten Bildungs- und Gesundheitsniveaus.

Neu ist der Verweis auf die Sustainable Development Goals: «Mit der Agenda 2030 verfügt die internationale Gemeinschaft über ein zukunftsgerichtetes politisches Rahmenwerk für nachhaltige Entwicklung, das auch die Stärkung der Menschenrechte zum Ziel hat.» Die Verschränkung der Agenda 2030 mit dem Menschenrechtsschutz ist politisch von grosser Bedeutung, wird aber im Bericht leider nicht weiterverfolgt.

Menschenrechtsstrategie des EDA: Es hapert mit der Umsetzung in der Schweiz

Das zweite Kurzkapitel des Berichts erinnert an die Menschenrechtsstrategie des EDA 2016–2019. Hier wird unter anderem das Engagement für «starke Menschenrechtsinstitutionen auf globaler, regionaler und nationaler Ebene» betont. Gerade auf nationaler Ebene lässt die Umsetzung der Strategie jedoch zu wünschen übrig. Im Bericht ist zwar von «Fertigstellung» der Gesetzesvorlage zur Schaffung einer Nationalen Menschenrechtsinstitution die Rede – ob sie während der Strategieperiode tatsächlich noch fertiggestellt wird, ist jedoch fraglich. Sollten es Bundesrat und Parlament tatsächlich nach einer 17-jährigen Leidensgeschichte nicht fertigbringen, endlich eine unabhängige Nationale Menschenrechtsinstitution zu schaffen, leidet die Glaubwürdigkeit der gesamten Strategie stark.

Bezüglich der Menschenrechtsakteure hebt die Strategie die Rolle einer starken Zivilgesellschaft hervor. Gerade in diesem Bereich liegt der Glaubwürdigkeitstest derzeit einerseits im Dialog mit NGOs im eigenen Land und andererseits in der nachhaltigen Unterstützung von Menschenrechtsorganisationen auf heiklem Terrain wie etwa in Israel/Palästina oder von Menschenrechtsverteidigern/-innen in einem autoritären Staat wie China. Der Bericht geht auf solche Fragen nur summarisch und nicht aufgrund transparenter Kriterien und Abwägungen ein. Konkrete Einschätzungen sind folglich nicht möglich.

Die Menschenrechtsstrategie soll in diesem Jahr evaluiert, angepasst und gegebenenfalls erweitert werden. Die im Bericht aufgeworfenen Themen können in diesem Prozess vertieft untersucht und mit Blick auf die zukünftige Politik aufgearbeitet werden. Nimmt das EDA sich selber beim Wort, kann dies nur unter Einbezug sämtlicher Akteure, also auch der Zivilgesellschaft, geschehen.

Kohärenz in der Menschenrechtspolitik

Der erste Hauptteil des Berichts ist der Politikkohärenz gewidmet. Diese herausfordernde Fragestellung ist damit erfreulicherweise ins Zentrum der Rechenschaftsablage gerückt. Aufgeteilt wird die Thematik in Kohärenz von Innen- und Aussenpolitik, und dann je von Aussenwirtschafts-, Migrations-, Sicherheits- und Menschenrechtspolitik. Verschiedene Bereiche werden kurz beschrieben – allerdings ohne Spannungsfelder und Interessenskonflikte konkret zu benennen. Auffallend ist, was nicht zur Sprache kommt. Bei der Kohärenz von Menschenrechts- mit Sicherheitspolitik sind Rüstungsexporte kein Thema, in jener mit der Aussenwirtschaftspolitik fällt kein Wort zu Freihandelsabkommen, bei der Innenpolitik ist Steuergerechtigkeit ausgeklammert.

Die NGO-Plattform Menschenrechte Schweiz hat im Juni 2017 ihre Analyse «Wo bleibt die Kohärenz? Menschenrechte und Schweizer Aussenpolitik» zur Diskussion gestellt. Der jetzt vorliegende Bericht des Bundesrats über die Menschenrechtsaussenpolitik der Schweiz der letzten vier Jahre kann nun auch an den zentralen Forderungen der NGO-Plattform Menschenrechte gemessen werden.

Fehlende Koordination staatlicher Organe

Um die bereichsübergreifende Kohärenz der Menschenrechtspolitik zu verbessern, fordern die NGOs seit langem ein wirksames Querschnittsorgan in der Verwaltung. In diese Richtung gehen auch wiederholte Empfehlungen internationaler Menschenrechtsorgane.

Im Bericht des Bundesrats wird das Organ «Kerngruppe internationaler Menschenrechtsschutz KIM» angesprochen. Dieses ist jedoch nur mit ungenügenden Kompetenzen und Ressourcen versehen und seine Koordinationsbestrebungen sind gegen aussen kaum wahrnehmbar. Eine stärkere interdepartementale Koordinationsstelle für Menschenrechte müsste insbesondere Zielkonflikte eruieren und Entscheidungsgrundlagen zur deren Bearbeitung bereitstellen können. Sie müsste auch eng mit einer interdepartementalen Koordination zur Umsetzung der Agenda 2030 verschränkt sein.

Menschenrechtsverträglichkeitsprüfungen sind notwendig

Um die inhaltliche Kohärenz der Menschenrechtspolitik zu verbessern, postulieren die NGOs systematische Menschenrechtsverträglichkeitsprüfungen (Human Rights Impact Assessments). Solche innovativen Ansätze sind notwendig, um den ursprünglichen Auftrag des Parlaments auf der Basis von Fakten umsetzen zu können: Es geht darum, aufzuzeigen, «mit welchen Massnahmen Wirksamkeit und Kohärenz von aussenpolitischen und aussenwirtschaftspolitischen Aktivitäten verstärkt werden können». Der Bundesrat beschränkt sich in seinem Bericht auf die traditionellen Instrumente zur Umsetzung der Schweizer Menschenrechtspolitik.

Nationale Menschenrechtsinstitution: Mandat für die Menschenrechtsaussenpolitik?

In den Augen der NGOs muss vordringlich das Projekt einer unabhängigen Nationalen Menschenrechtsinstitution zur Realisierung gelangen. Im Zuge der Vernehmlassung wurde anerkannt, dass die zu schaffende Institution auch im Bereich der Menschenrechtsaussenpolitik handlungsfähig sein muss. Sie könnte einen wesentlichen Beitrag zur deren Begleitung und Weiterentwicklung leisten sowie Instrumente zum Monitoring von Kohärenzfragen bereitstellen.

Vielfältige Instrumente der Menschenrechtsaussenpolitik

Im zweiten Hauptteil werden die bilateralen und multilateralen Instrumente der Menschenrechtspolitik aufgezeigt.

Bei den bilateralen Dialogen steht China im Fokus. Die Schweiz spreche Menschenrechtsverletzungen direkt an, die Ergebnisse könnten als Erfolg bezeichnet werden. In diplomatischen Kontakten auf allen Ebenen, die auf Vertraulichkeit und Respekt basierten, könnten Menschenrechtsfragen, auch zum Schutz einzelner Aktivistinnen und Aktivisten, erörtert werden.

Eine langfristige Analyse der Wirkung der gesamten schweizerischen Aussenpolitik auf China, wo sich die Menschenrechtssituation im Berichtszeitraum massiv verschärft hat, fehlt in diesem Bericht. Kritische Fragen konkreter Politikkohärenz – etwa im Bereich Menschenrechte und Freihandel, auf welche NGOs in ausführlichen Analysen hingewiesen haben – werden ausgeklammert. Die Menschenrechtsdialoge dürfen auf keinen Fall zum Feigenblatt werden. Trotz Menschenrechtsdialog muss die Schweiz auch in anderen Politikbereichen und auf höchster diplomatischer Ebene auf den heikelsten Menschenrechtsthemen insistieren.

Klare Schwerpunkte

Im dritten Hauptteil werden sieben Arbeitsschwerpunkte erläutert.

Der erste Schwerpunkt der Menschenrechtspolitik richtet sich auf NGOs sowie auf das substanzielle Engagement zum Schutz von Menschenrechtsverteidigern/-innen. Elemente einer kritischen Evaluation der Umsetzung der grundsätzlich sehr guten Bundesrats-Leitlinien zum Schutz von Menschenrechtsverteidiger/innen fehlen allerdings.

Der zweite Schwerpunkt ist die Bekämpfung von Folter, ein Bereich, in dem das EDA – neu auch im Rahmen eines Aktionsplans – ebenfalls umsichtig und aktiv vorgeht. Allerdings stellt auch dieser Abschnitt eine reine Bestandesaufnahme und keine kritische Auseinandersetzung mit dem eigenen Handeln dar.

Auch beim dritten Schwerpunkt – Abschaffung der Todesstrafe – wird über die Darstellung vielfältiger Aktivitäten hinaus nicht ersichtlich, ob und wie genau die Schweiz ihre diplomatischen und allenfalls weiteren Druckmöglichkeiten gegenüber einzelner Staaten wie China, Iran oder Saudiarabien ausschöpft.

Vom Grundsatz her ebenfalls sehr positiv ist der vierte Schwerpunkt: Engagement für die Rechte der Minderheiten und gegen Diskriminierung. Man würde allerdings gerne erfahren, was es genau bedeutet, dass die Schweiz «konsequent für den Schutz der verletzlichsten Personen einer Gesellschaft» plädiert. So bleibt beispielsweise verborgen, inwiefern sich die Schweiz für Opfer der Tätigkeiten von Rohstoffkonzernen im Kongo oder in Peru einsetzt.  Ebenfalls wird festgehalten, dass die Schweiz “weltweit gegen die Diskriminierung von Menschen aufgrund ihrer sexuellen Orientierung und Genderidentität” vorgehen will. Trotzdem standen die Schweizer Vertreter/innen eigenartig abseits, als 2018 in der OSZE die entsprechende Situation in Tschetschenien und die Verantwortung Russlands diskutiert wurde.

Der fünfte Schwerpunkt ist den Rechten der Frauen gewidmet. Auch hier ist die schweizerische Strategie vorbildlich, während die Umsetzung und die Überprüfung auf Kohärenz etwa im Bereich Wirtschaft und Menschenrechte nicht im Detail thematisiert werden.

Der sechste Schwerpunkt, Wirtschaft und Menschenrechte, widerspiegelt den fast exklusiven Fokus des Bundesrats auf unverbindliche, freiwillige Massnahmen. Wie wissenschaftliche Studien zeigen, ist diese einseitige Ausrichtung weder zielführend noch effizient. Die Schweiz droht damit auch den Anschluss an die internationale Rechtsentwicklung zu verlieren. Die verstärkten Anstrengungen des EDA im Bereich freiwilliger Massnahmen dürften eher die Musterschüler/innen als die faulen Äpfel erreichen.

Schliesslich werden überraschenderweise die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte als siebter Schwerpunkt aufgeführt. Dass sich die Schweiz an den Verhandlungen für eine neue UNO-Deklaration über die Rechte von Kleinbauern und -bäuerinnen beteiligt hat, wird zurecht hervorgehoben, auch wenn sie beim Recht auf Saatgut einen einschneidenden Vorbehalt formuliert hat. Im Bereich der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte stellt sich ebenfalls die Kohärenzfrage im Zusammenhang mit der Innenpolitik, wo die Justiziabilität und Einklagbarkeit dieser Rechte traditionell kein grosses Gewicht haben.

Kommentar: Glaubwürdigkeit der schweizerischen Menschenrechtsaussenpolitik auf dem Spiel

Das EDA verfügt über eine solide, breit aufgestellte und durch hervorragende Fachleute umgesetzte Menschenrechtsaussenpolitik. Dies zeigt die vorliegende Bilanz des Bundesrats zum Zeitraum 2015 – 2018. Der Bericht macht allerdings dem kritischen Leser, der kritischen Leserin auch vielfältige Defizite deutlich – obwohl diese leider nicht explizit und selbstkritisch ausgeführt werden. Der Bericht stellt eine reine Auslegeordnung verschiedener Bereiche dar. Eine genügende Basis für die positive Schlussfolgerung, wonach die Politik insgesamt «wirksam und effizient» sei, ist im Bericht nicht auffindbar.  

Dass in der schweizerischen Aussenpolitik insgesamt die Menschenrechte im Zentrum stehen, wird derzeit einem breiten Publikum nicht deutlich. Die Glaubwürdigkeit der schweizerischen Menschenrechtsaussenpolitik wird beeinträchtigt, wenn Bundesräte die guten, von Wirtschaftsinteressen geleiteten Beziehungen zu Saudiarabien oder zu Brasilien betonen und Menschenrechtsfragen dabei gezielt übergehen;  wenn der Bundesrat die Migrationsthematik auch nach gewonnenem Kampf um die «Selbstbestimmungsinitiative» nicht stärker in einen menschenrechtlichen Rahmen setzt; oder wenn Bundesräte im Ausland Imagepflege für Schweizer Konzerne betreiben, ohne menschenrechtliche Dimensionen ihrer Tätigkeiten auch nur zu benennen. Vom Departementsvorsteher des EDA ist bisher nur eine programmatische Rede zur Menschenrechtspolitik bekannt. Am 26. Februar 2018 äusserte er sich vor dem UNO-Menschenrechtsrat dahingehend, dass die Schweiz Menschenrechtspolitik in erster Linie im Interesse des eigenen Landes und des eigenen Wohlstands betreibe. Eine Gelegenheit, in einer globalen Situation massiver Instabilität und wachsenden Angriffen auf die Menschenrechte diese Rechte wieder ins Zentrum der schweizerischen Politik zu rücken, bietet die in Aussicht gestellte «Aussenpolitische Vision 2028», die bald veröffentlicht werden soll.

Dokumentation