05.05.2008
Am 5. April 2008 hat die zuständige Arbeitsgruppe einen Entwurf für das Fakultativprotokoll zum UNO-Pakt für soziale, wirtschaftliche und kulturelle Rechte zuhanden des Menschenrechtsrates verabschiedet. Falls der Entwurf die Hürden des Menschenrechtsrates und der UNO-Generalversammlung schafft, wird damit die Möglichkeit geschaffen, dass Einzelpersonen künftig ihre Sozialrechte vor dem UNO-Ausschuss für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte gegenüber dem Staat geltend machen können - vorausgesetzt, der betreffende Staat hat das Zusatzprotokoll ratifiziert.
Nichtregierungsorganisationen (NGO) sind mit dem Ergebnis und mit der Haltung der Schweizer Delegation zufrieden. Diese hatte nicht wie befürchtet auf einem à-la-carte-System für die Einklagbarkeit der Sozialrechte beharrt.
Das Protokoll sei ein entscheidender Schritt in Richtung Stärkung der Sozialrechte, schreibt Swissaid auf ihrer Website. «Opfern von Menschenrechtsverletzungen im Bereich Ernährung, Gesundheit, Bildung und Unterkunft wird es zukünftig möglich sein, diese auf UNO-Ebene einzuklagen, sollte ihr Land dafür keine Möglichkeit bieten.» Das Schweizer Hilfswerk war in einer internationalen NGO-Koalition vertreten und war an vorderster Front für ein griffiges Fakultativprotokoll eingetreten.
A-la-carte-Forderung der Schweiz erntete Kritik
Gemäss Angaben von Swissaid ist die Schweizer Delegation in den Verhandlungen der UNO-Arbeitsgruppe vom 30. März bis zum 5. April 2008 den Forderungen von NGOs nachgekommen. Sie stellte sich nicht länger gegen ein umfassendes Fakultativprotokoll und stimmte für den nun vereinbarten Wortlaut.
Noch im März 2008 hatten über 250 Menschenrechts- und Entwicklungsorganisationen in einem Brief die Schweizer Regierung aufgefordert, an der bevorstehenden Verhandlungsrunde entweder in den Ausstand zu treten oder zu schweigen. Diese scharfe Empfehlung war erfolgt, nachdem die Schweizer Delegation in der Verhandlungsrunde anfang Februar 2008 als Kompromissvorschlag die Idee ins Spiel gebracht hatte, dass es jedem Vertragsstaat frei gestellt wäre, nach einem Menuesystem nur für einige ausgewählte Sozialrechte den Beschwerdeweg zu eröffnen.
Dieser Vorschlag hätte offensichtlich gegen das seit der Wiener Menschenrechtskonferenz von 1993 international anerkannte Prinzip verstossen, dass alle Menschenrechte als unteilbar und gleichwertig zu betrachten sind. «Würden die einzelnen Länder selbst darüber entscheiden, welche Rechte bei der UNO eingefordert werden können, käme dies einer Hierarchisierung der Rechte gleich. Das widerspricht dem Grundsatz der Universalität», sagte Gregor Schottin, Menschenrechtsbeauftragter beim auswärtigen Amt in Berlin im März 2008 gegenüber Swissinfo. Deutschland war wie andere EU-Staaten auch konsequenterweise gegen den Vorschlag der Schweiz - im Gegensatz zur USA, welche bekanntlich nicht einmal den UNO Pakt I ratifiziert haben.
Beitrittsstaaten dürfen Vorbehalte anbringen
Im Zusammenhang mit der Änderung der Haltung der Schweiz dürfte die Tatsache nicht unwichtig sein, dass die Arbeitsgruppe den beitrittswilligen Staaten die Möglichkeit einräumt, gegenüber bestimmten Inhalten des Zusatzprotokolls ihre Vorbehalte anzubringen. Hierzu schreibt die internationale NGO-Koalition sinngemäss: «Die Tilgung des Verbots, Vorbehalte einzubringen, basierte auf dem Konsens, dass keine Vorbehalte erlaubt werden, welche mit dem Zweck und den Zielen des Pakts unvereinbar seien.» In diesem Sinne bleibt zu hoffen, dass sich die Schweiz nicht dereinst mittels Vorbehalten aus zentralen Verpflichtungen des Fakultativprotokolls heraushalten kann.
- Das Recht auf Nahrung soll einklagbar werden
Swissaid, 5. April 2008 (nicht mehr verfügbar) - Draft optional protocol to the international covenant on economic, social and cultural rights
Entwurf des Fakultativprotokolls vom 4. April 2008 (englisch, pdf 12 S.) - NGO‐Coalition closing statement to the open ended working group on an optional protocol to the ICESCR
Einschätzung des Protokolls durch die internationale NGO-Koalition (englisch, pdf 2 S.)
Französische Version (pdf, 3 S.) - Open-ended Working Group on an Optional Protocol to the International Covenant on Economic, Social and Cultural Rights
Informationen auf der Website des Büro des UNO-Hochkommissariats für Menschenrechte (englisch) - NGO Coalition Welcomes Historic Decision - Economic, Social and Cultural Rights on Track to have Equal Footing with Other International Human Rights Law
Medienmitteilung der NGO-Koalition vom 18. Juni 2008 (pdf, 1 S.) - Human Rights Council Adopts Resolution On Conference Facilities And Presidential Statement On Terms Of Office Of Mandate Holders
Medienmitteilung der UNO vom 18. Juni 2008
Weiterführende Informationen
- Menschenrechte à la carte? Die Schweiz soll besser schweigen (online nicht mehr verfügbar)
Medienmitteilung von Amnesty International Schweizer Sektion, Brot für Alle, Fastenopfer, FIAN Schweiz, SWISSAID - Schweiz tut sich schwer mit den sozialen Menschenrechten
Schweizer Radio, Echo der Zeit vom 27. März 2008 - UNO-Beschwerdeweg für Sozialrechte gesucht
NZZ-Online vom 27. März 2008 - Wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte à la carte
Antwort von Bundesrätin Calmy-Rey auf eine Frage von Nationalrat Jo Lang - UNO: Die Schweiz fordert Rechte «à la carte»
Swissinfo, 7. Februar 2008 - (5th Session, 4-8 February and 31 March-4 April 2008)
Dokumentation auf der Website des UNO-Hochkommissariats - Auslegung der Sozialrechte in der Schweiz
Themendossier auf humanrights.ch