16.12.2015
In einer kleinen Artikelreihe haben wir bislang die Portraits von fünf nationalen Menschenrechtsinstitutionen (NMRI) in Europa erstellt, nämlich von Deutschland, Frankreich, Österreich, Norwegen, und Irland. Die ersten drei sind Nachbarländer der Schweiz, die letzten drei Länder sind in ihrer Grösse vergleichbar mit der Schweiz.
Im Winter 2015/2016 wird der Bundesrat über das weitere Schicksal des Vorhabens entscheiden, in der Schweiz eine unabhängige nationale Menschenrechtsinstitution einzurichten. Der vorliegende Artikel bietet Stoff für die aktuelle schweizerische Diskussion, indem Gemeinsamkeiten und Unterschiede von real existierenden NMRI im europäischen Umfeld aufgezeigt werden.
Drei Typen von Institutionen
Frankreich und Irland haben eine Kommission zur NMRI ernannt, Deutschland und Irland haben das Modell des Instituts gewählt und bei der österreichischen Volksanwaltschaft handelt es sich um eine typische Ombudsstelle. Bei näherem Hinsehen sind die drei Typen «Kommission», «Institut» und «Ombudsstelle» jedoch nicht trennscharf zu unterscheiden. Die Profile der real existierenden Institutionen überlagern einander mehr oder weniger, ungeachtet des Typus, dem sie angehören.
Das ICC und die Pariser Prinzipien
Die NMRI sind weltweit in einem Verein organisiert, dem «International Coordinating Committee for National Human Rights Institutions» (ICC). Eine der wichtigsten Aufgaben des ICC ist die Beurteilung, inwieweit eine NMRI die Pariser Prinzipien erfüllt. Eine weitgehende Übereinstimmung mit den Pariser Prinzipien wird mit dem A-Status ausgezeichnet, eine teilweise Übereinstimmung mit dem B-Status und eine weitgehend fehlende Übereinstimmung mit dem C-Status.
Die Pariser Prinzipen verlangen eine gesetzliche Verankerung, ein umfassendes Mandat, eine ausreichende Infrastruktur und Finanzierung, eine garantierte Unabhängigkeit gegenüber der Regierung, eine pluralistische Vertretung der gesellschaftlichen Kräfte sowie eine Zugänglichkeit für besonders verletzliche Gruppen.
- «Pariser Prinzipien»
Resolution 48/134 der UNO-Generalversammlung, deutsche Version (pdf, 6 S.)
A- und B-Status nicht immer nachvollziehbar
Die im Jahr 2014 neu geschaffene Irish Human Rights and Equality Commission wurde vom ICC noch nicht eingeteilt; die Vorläufer-Kommission hatte jedoch den A-Status inne. Dasselbe trifft für die französische Menschenrechtskommission und das Deutsche Institut für Menschenrechte (DIMR) zu, wobei letzteres im März 2016 vom ICC neu beurteilt wird.
Das DIMR beruhte seit seiner Gründung im Jahre 2001 bis im Sommer 2015 auf einem Beschluss des deutschen Bundestags; es verfügte also bis dahin über keine gesetzliche Grundlage. Diese ist aber gewöhnlich eine wichtige Voraussetzung für die Zuweisung des A-Status. Erst im Juni 2015 hat der Deutsche Bundestag nach längeren politischen Auseinandersetzungen erstmals eine gesetzliche Verankerung des DIMR beschlossen.
- Akkreditierungsausschuss empfiehlt A-Status für das Deutsche Institut für Menschenrechte
Pressemitteilung des DIMR vom 3.12.2015
Dass die Klassifizierung der NMRI für Aussenstehende nicht immer evident ist, zeigt auch der Fall der österreichischen Volksanwaltschaft. Die seit den Siebzigerjahren bestehende Ombudsstelle für die öffentliche Verwaltung auf Bundes- und Länderebene wurde im Jahre 2012 mit einem System von sechs regionalen Überwachungskommissionen für geschlossene Einrichtungen (z.B. Gefängnisse oder Pflegeheime) zur österreichischen NMRI verknüpft. Die Volksanwaltschaft vermittelt bei Problemen mit Behörden und ist für den Schutz und die Förderung der Menschenrechte in Österreich zuständig.
Trotz dieses breiten, gesetzlich verankerten Mandats und einer teilweise dezentralen Organisationsform kommt die Volksanwaltschaft bislang nicht über den B-Status hinaus. Denn die letzte Einstufung durch den ICC erfolgte im Jahre 2011, ein Jahr vor der wichtigen Erweiterung des Mandats der Volksanwaltschaft im Sinne einer auch präventiven, zivilgesellschaftlich verankerten Menschenrechtsarbeit.
Eine NMRI, die einmal eingestuft ist, wird danach alle 5 Jahre vom ICC auf die Angemessenheit der Einstufung hin überprüft. So können Abweichungen in beide Richtungen zustande kommen.
Universitäre Einbindung ist suboptimal
Wenn ein Institut keine eigene Rechtspersönlichkeit aufweist, weil es zum Beispiel Teil einer Universität ist, so ist dies mit dem Profil einer NMRI kaum zu vereinbaren, wie das Beispiel des «Norwegian Centre for Human Rights» zeigt. Die norwegische NMRI gehört als Teil dieses akademischen Zentrums zur Rechtsfakultät der Universität Oslo.
Eine externe Evaluation beurteilte die Arbeit des Zentrums als NMRI kritisch, weil die akademische Freiheit einem klaren Eintreten für die Menschenrechte entgegenstehe. Die Folge davon sei das Fehlen von klaren Positionen und einer einheitlichen Stimme als Menschenrechtsinstitution.
Interessanterweise hat die Universität Oslo diese Einschätzung geteilt und die beiden Funktionen der Wissenschaft und der NMRI gar als unvereinbar bezeichnet. In der Folge wurde das «Norwegian Centre for Human Rights» vom ICC in seiner Eigenschaft als nationale Menschenrechtsinstitution vom A- zum B-Status zurückgestuft. Seit einigen Jahren laufen Bemühungen, das Menschenrechtszentrum organisatorisch von der Universität Oslo abzulösen.
Ressourcen: ein uneinheitliches Bild
Vergleicht man die finanziellen und personellen Ressourcen der fünf ausgewählten NMRI, so ergibt sich ein sehr heterogenes Bild. In absoluten Zahlen am knappsten gehalten mit kaum 1 Mio. CHF wird die norwegische NMRI, was nicht sehr gut zum Image des vom Erdöl angetriebenen Staates passt.
Auch erstaunt es, dass die Republik Irland sich eine um einen Drittel aufwändigere NMRI leistet als Deutschland, nämlich im Verhältnis von 4.4 Mio. zu 3.4 Mio. Euro. Deutlich übertroffen werden beide jedoch von Österreich, welches jährlich mehr als 10 Mio. Euro für die Volksanwaltschaft aufbringt. Dieser Spitzenwert erklärt sich daraus, dass die Volksanwaltschaft nicht nur eine grund- und menschenrechtliche, sondern auch eine allgemeine Ombudsfunktion für alle staatlichen Institutionen auch in den Bundesländern wahrnimmt.
Was die französische Menschenrechtskommission angeht, so liegen weder über die Höhe noch die Quelle der Finanzierung gesicherte Angaben vor.
Aufgabenprofile: unterschiedliche Sets
Die Mandate der betrachteten NMRI sind entsprechend unterschiedlich. So verfügt das Deutsche Institut für Menschenrechte DIMR über ein eher «weiches» Aufgabenprofil: Information, Dokumentation, Forschung, Bildung, Politikberatung, Förderung des Dialogs. Dazu gehört auch die Aufgabe der Berichterstattung über die Lage der Menschenrechte in Deutschland, was in der Praxis eine Monitoringfunktion ist. Dazu gesellte sich später die Funktion des DIMR als Monitoringstelle gemäss Art. 33 Abs. 2 der Behinderrechtskonvention. Das DIMR verfügt jedoch über keine Kompetenzen zum Bearbeiten von Einzelfällen (Ombudsfunktion).
Auf der andern Seite steht die Irische Kommission für Gleichstellung und Menschenrechte, welche zusätzlich zum Aufgabenprofil des DIMR starke Kompetenzen im Monitoring der Gesetzgebung hat wie auch ein Vorschlagsrecht für Gesetzesänderungen sowie ein weitgehendes Mandat für Expertise, Beratung und Rechtsbeistand in Einzelfällen vor Gericht. Zudem hat die irische Kommission ein ausdrückliches Mandat, als Katalysator für einen gesellschaftlichen Wandel zu wirken, welcher sich an einer institutionellen Kultur der Gleichstellung und der Menschenrechte orientiert.
Eine Mittelstellung zwischen dem deutschen Minimum und dem irischen Maximum hat die französische Menschenrechtskommission inne, bei welcher die Funktion der Politikberatung um ein Untersuchungs- und ein Monitoringmandat ergänzt ist. Auch bei der österreichischen Volksanwaltschaft fällt der Funktionenmix auf: Nebst der Ombudsfunktion verfügt sie über ein weitgehendes Mandat zum Monitoring von geschlossenen Anstalten und auf der Grundlage der empirischen Befunde ein Vorschlagsrecht für Gesetzesänderungen.
Fazit
Die fünf Beispiele zeigen, dass sich jedes Land seine eigene NMRI aufbaut. Die Ausgangslage und die Rahmenbedingungen sind in jedem Fall anders, und so erstaunt es nicht, dass auch die resultierenden Strukturen und Arbeitsweisen sehr unterschiedlich ausfallen. Das breite Spektrum an Möglichkeiten wird gerade noch zusammengehalten von der Klammer der Pariser Prinzipien, welche hauptsächlich garantieren sollen, dass sich bei aller Vielfalt unter dem Titel von nationalen Menschenrechtsinstitutionen keine handzahmen staatsnahen Alibi-Institutionen breitmachen. Ob die angestrebte bzw. behauptete Unabhängigkeit der NMRI vom Staat dann auch tatsächlich gelebt wird, bedarf allerdings einer laufenden wachsamen Überprüfung durch die Organisationen der Zivilgesellschaft und die mediale Öffentlichkeit auf nationaler Ebene.
Dokumentation
- Schaffung einer nationalen Menschenrechtsinstitution in der Schweiz - Stand der Dinge
humanrights.ch vom 25.2.2015