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Spanien verletzt EMRK mit Abschiebungen von Melilla nach Marokko

30.10.2017

Am 3. Okt. 2017 hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) Spanien wegen unrechtmässiger Rückschiebungen von Flüchtlingen aus der spanischen Enklave Melilla nach Marokko verurteilt. Die zwei Beschwerdeführer aus Mali und der Elfenbeinküste waren Teil einer Gruppe von etwa 70 Migranten/-innen, welche den Grenzzaun bei Melilla am 13. Aug. 2014 überquert hatten und unmittelbar danach von der Guardia Civil festgenommen und der marokkanischen Polizei übergeben worden waren, ohne dass ihre Identität geprüft und ihre Anliegen angehört worden wären. Der EGMR erkannte darin eine Verletzung des Verbots von Kollektivausweisungen ohne Einzelfallprüfung von Art. 4 des Vierten Zusatzprotokolls zur EMRK sowie eine Verletzung des Rechts auf wirksame Beschwerde gemäss Art. 13 EMRK.

Als sogenannte «Push Backs» bezeichnet man sofortige kollektive Rückschiebungen von asylsuchenden Migranten/-innen, wie sie insbesondere in den spanischen Exklaven Ceuta und Melilla - aber auch andernorts - immer wieder praktiziert werden. Sowohl staatliche als auch nichtstaatliche Organisationen verurteilen die «Push Backs» wegen der Verweigerung des rechtlichen Gehörs seit vielen Jahren als menschenrechtswidrig. Diese Einschätzung wurde nun vom EGMR bestätigt. 

Zur Beschwerde beim EGMR

Im Februar 2015 gelangten die beiden Opfer einer Rückschiebung vom 13. August 2014 dank der Unterstützung des European Center for Constitutional and Human Rights (EHCCR) mit einer Beschwerde an den EGMR. Sie machten eine unmenschliche Behandlung gemäss Art. 3 EMRK (Folterverbot) sowie eine Verletzung von Art. 4 des 4. Zusatzprotokolls (ZP) zur EMRK geltend. Ausserdem sahen die Betroffenen ihr Recht auf wirksame Beschwerde gemäss Art. 13 EMRK verletzt. 

Ende Juli 2015 lehnte der Gerichtshof die Beschwerde betreffend Art. 3 EMRK in einer Vorentscheidung ab. Gleichzeitig forderte der EGMR die spanische Regierung jedoch dazu auf, «zu den tatsächlichen und rechtlichen Grundlagen der Push Back-Praxis an der Grenze zu Marokko im Hinblick auf Art. 4 vierten Zusatzprotokolls-EMRK sowie Art. 13 EMRK Stellung zu nehmen.»

Stellungnahme von Spanien

Zum Jahresende 2015 hat Spanien beim EGMR seine Stellungnahme eingereicht. Darin schreiben die Behörden, Geflüchtete könnten an der Grenze in Melilla und Ceuta einen Asylantrag in eigens dafür eingerichteten Anlaufstellen einreichen; zu diesem Zweck müsse niemand über die Zäune klettern. Die spanische Zeitung El Diario, welche über die Stellungnahme berichtete, betont jedoch, dass zum Zeitpunkt des betreffenden Push Backs vom August 2014 noch keine Möglichkeit bestand, an der Grenze zu den Exklaven Asyl zu beantragen. 

El Diario zitiert in diesem Zusammenhang das UNO-Flüchtlingshochkommissariat UNHCR. Dieses berichtet, dass Menschen aus der Subsahara-Region nach wie vor so gut wie keinen Zugang zu diesen Anlaufstellen haben und somit keinen Asylantrag stellen können. Flüchtlinge aus der Subsahara-Region würden von der marokkanischen Polizei fast systematisch vom Zugang zu den entsprechenden Anlaufstellen abgehalten, während Flüchtlinge aus Syrien ihre Asylanträge ungehindert stellen können. Das UNHCR schätzt, dass ca. 60 % jener Menschen, die über die Zäune klettern und von den Push Backs betroffen sind, einen Asylanspruch geltend machen könnten, unter ihnen viele Menschen aus der Subsahara-Region.

Unabhängige Rechtsgutachten

Hinsichtlich der Beschwerde am EGMR bestätigen zahlreiche Rechtsgutachten – des UN-Menschenrechtskommissars, des UN-Flüchtlingswerks (UNHCR), des Menschenrechtskommissars des Europarats und von Amnesty International – dass die Praxis der Push Backs gegen die EMRK verstösst. «Spaniens Grenzregime ist menschenrechtswidrig – allerhöchste Zeit, dass ein Gericht das feststellt», sagt auch Wolfgang Kaleck, Generalsekretär des ECCHR. «Die EU spricht beschönigend von ‘Grenzschutz‘, tatsächlich aber ist es eine gnadenlose Abschottungspraxis, bei der die Rechte von Geflüchteten ausgehebelt werden.»

EMRK gilt auch an den europäischen Außengrenzen

Das EGMR-Urteil zu den Abschiebungen von Melilla hat nun die Einschätzungen der unabhängigen Beobachter voll bestätigt. Seine Bedeutung geht weit über diesen Einzelfall hinaus.

«Das Melilla-Verfahren (...) ist ein Präzedenzfall, um das grundlegende 'Recht auf Rechte' von flüchtenden und migrierenden Menschen durchzusetzen», sagte Wolfgang Kaleck, Generalsekretär des European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR). «Mit dem Urteil stellt der EGMR klar: Spaniens Grenzregime ist menschenrechtswidrig, denn die EMRK gilt auch an den Aussengrenzen der EU», so Kaleck.

In einem weiteren EGMR-Verfahren gegen Mazedonien unterstützt das ECCHR Geflüchtete aus Syrien, Irak und Afghanistan bei Beschwerden wegen der illegalen Rückschiebung nahe des Flüchtlingslagers Idomeni an der nordmazedonisch-griechischen Grenze.

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