humanrights.ch Logo Icon

Rassismusbericht 2022: Die Relevanz des Themas Rassismus nimmt stetig zu

23.04.2023

708 Fälle wurden dem Beratungsnetz im Jahr 2022 gemeldet – das ist ein Anstieg von 78 Fällen. Die häufigsten Meldungen ereigneten sich, wie bereits im Vorjahr, in den Lebensbereichen Arbeit und Bildung. Hier müssen dezidierter Gegenmassnahmen ergriffen werden!

Heute, dem 23. April 2023, veröffentlichen humanrights.ch und die Eidgenössische Kommission gegen Rassismus EKR den Auswertungsbericht zu den im letzten Jahr durch die Beratungsstellen dokumentierten Rassismusvorfällen. In folgendem Video besprechen Yaren Kırmızıtaş, Praktikantin bei humanrights.ch, Gina Vega, Leiterin des Beratungsnetzes für Rassismusopfer sowie Khaly Haile und Samuel Häberli von der Beratungsstelle Zürcher Anlaufstelle Rassismus ZüRAS die Bedeutung der Ergebnisse des Berichts und die Herausforderungen in der Beratungsarbeit.

Die Relevanz des Themas Rassismus nimmt in der Schweizer Gesellschaft stetig zu. Vor allem Fälle von anti-Schwarzem Rassismus und Rassismus gegen als «fremd» und/oder «ausländisch» gelesene Menschen werden aufgrund der breiteren medialen und gesellschaftlichen Aufmerksamkeit der letzten Jahre bewusster wahrgenommen und auch häufiger gemeldet. Die Beratungsstellen werden weiterhin überwiegend von direkt betroffenen Menschen aufgesucht. Das Beratungsnetz verzeichnet jedoch auch einen Anstieg an Meldungen von Zeug*innen und Fachpersonen, die indirekt mit Rassismus in Berührung kommen und sich aktiv gegen Rassismus einsetzen.

Die Zahlen des Rassismusberichts bleiben im Jahr 2022 in allen Lebensbereichen konstant hoch. Vor allem in den Lebensbereichen «Arbeit und Bildung» werden, wie bereits im Vorjahr, die häufigsten Meldungen verzeichnet. Hier ist dringender Handlungsbedarf angesagt. Denn täglich erfahrene Abwertung, Ausgrenzung und Diskriminierung in diesen beiden Lebensbereichen haben negative Auswirkungen auf die individuelle Verwirklichung der Betroffenen und auf ihre Teilhabe an sowie Zugehörigkeit zur Gesellschaft. Vor allem in der Schule ist eine grosse Unsicherheit im Umgang mit dem Thema feststellbar. Lehrpersonen wissen häufig nicht, wie sie Rassismus in ihren Klassen behandeln können oder wie sie in einer rassistischen Situation intervenieren sollen. Sie können deshalb betroffenen Schüler*innen oft nicht die richtige Unterstützung anbieten. Zudem gibt es strukturelle und institutionelle Bedingungen, wie der Mangel an Aus- und Weiterbildung zum Thema Rassismus für Lehrpersonen oder der fehlende Auftrag, Rassismus als Thema in die Lehrpläne aufzunehmen, die das Problem verstärken.

Auch bei der Arbeitsstelle sind Betroffene mit Erniedrigungen, Beschimpfungen und Benachteiligung von Seiten der Teamkolleg*innen oder mit Ungleichbehandlung durch Vorgesetzte konfrontiert. Den Beratungsstellen werden aber nicht nur Fälle von interpersonellem, sondern auch institutionellem und strukturellem Rassismus gemeldet, wie zum Beispiel ein erschwerter Zugang zum Arbeits- und Wohnungsmarkt oder eine diskriminierende Asyl- und Einbürgerungspraxis. Je nach Betrieb, Organisation oder Behörde ist es für die Beratungsstellen herausfordernd, auf rassistische strukturelle und institutionelle Rahmenbedingungen hinzuweisen, und Veränderungen einzufordern. Häufig sind rassistische Ausschlussmechanismen und Benachteiligungen struktureller und institutioneller Art schwer nachweisbar und werden vor allem von Nicht-Betroffenen kaum hinterfragt. Hinzu kommt, dass Vorfällen aufgrund der Lücken in den gesetzlichen Grundlagen gegen rassistische Diskriminierung meist mit nicht-rechtlichen Massnahmen entgegengetreten werden müssen. Die Beratungsstellen sind deshalb in vielen Fällen auf die Bereitschaft und das Engagement von Einzelpersonen angewiesen, um Lösungen für Betroffene zu suchen.

Trotz erhöhter Sichtbarkeit des Themas wird die öffentliche Debatte rund um Rassismus allzu oft skandalisiert und oberflächlich geführt. Dies erschwert tiefgründige Veränderungen in der Gesellschaft und in den Institutionen. Arbeitsverbände, Organisationen, Bildungsinstitutionen und Verwaltungsstellen müssen sich bewusster mit ihren Prozessen und Praktiken auseinandersetzen, die Vorfälle rassistischer Diskriminierung begünstigen, und dezidierter Gegenmassnahmen ergreifen. Dazu gehört Sensibilisierungsarbeit gekoppelt mit der Aus- und Weiterbildung des Personals. Ziel ist es, eine rassismusfreie Arbeits- und Schulkultur zu etablieren.

Die Zunahme an Beratungsfällen bedeutet für die Beratungsstellen einen steigenden Mehraufwand in der Begleitung und Intervention der Fälle. Hier stehen Bund und Kantone in der Verantwortung, die Beratungsstellen nachhaltig mit genügend finanziellen Mitteln auszustatten. Nur so kann die Arbeit der Beratungsstellen weiterhin professionell geleistet werden.

kontakt

Nora Riss
Leiterin Beratungsnetz für Rassismusopfer

nora.riss@humanrights.ch
031 302 01 61
Arbeitszeiten: Mo-Do