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2022 - F.A. v. SWITZERLAND (CEDAW)

30.05.2022

Eckdaten zum Fall

  • Afghanische Staatsangehörige im Alter von 29 Jahren
  • Rückkehr in einen Dublinstaat (Kroatien)
  • sexuelle Gewalt, unmenschliche Behandlung
  • Art. 1 CEDAW, Art. 2(c),(d),(e),(f) CEDAW, Art. 3 CEDAW, Art. 12 CEDAW, Art. 14 CAT
  • Zuständiger Kanton: Luzern

Sachverhalt

Die Beschwerdeführerin war zum Zeitpunkt der erlassenen interim Measures des UNO-Frauenrechtsausschusses eine 29-jährige afghanische Staatsangehörige und Mutter von zwei Söhnen.

Die Beschwerdeführerin floh aufgrund häuslicher Gewalt aus Afghanistan mit ihrem Sohn in die Türkei. Dort lernte sie einen Mann kennen, mit dem sie ihren zweiten Sohn bekam. Alleine mit ihren beiden Kindern floh die Beschwerdeführerin sodann nach Griechenland, wo sie Opfer einer versuchten Vergewaltigung wurde. Die Beschwerdeführerin floh mit ihren Kindern weiter nach Bosnien und Herzegowina, wo sie ca. 20 Mal versuchte, nach Kroatien zu gelangen. Sie wurde jedoch wiederholt gewaltsam zurückgedrängt und somit Opfer von Push-backs, obwohl sie klar kommunizierte, um Asyl ersuchen zu wollen. Während eines Push-backs trennten die kroatischen Polizisten die Beschwerdeführerin von ihren Kindern und den anderen Geflüchteten. Die männlichen Polizisten zwangen die Beschwerdeführerin, sich nackt auszuziehen und fassten sie am ganzen Körper an, wobei sie beinahe vergewaltigt wurde. Die kroatische Polizei verhöhnte sie und lachte sie aus, während sie weinte. Während eines anderen Push-back-Vorfalles versuchten die kroatischen Polizisten, die Beschwerdeführerin mit einer Eisenstange zu schlagen. Dabei wurde jedoch nicht die Beschwerdeführerin, sondern ihr Sohn von der Eisenstange getroffen, wobei er sich Verletzungen zuzog. Erst nach unzählig erfolglosen Versuchen konnte die Beschwerdeführerin schliesslich ein Asylgesuch in Kroatien stellen.

Aufgrund der miserablen Lebensbedingungen im kroatischen Asylzentrum und den dort erlebten Misshandlungen floh sie jedoch nach einem Monat weiter nach Slowenien, wo sie ebenfalls zweimal zurückgewiesen wurde und folglich Opfer von einem Push-back wurde. Sie wurde brutal von den slowenischen Polizisten geschlagen und sie und ihre Kinder wurden gezwungen, sich nackt auszuziehen. Aufgrund dieser traumatisierenden Ereignisse floh die Beschwerdeführerin mit ihren Kinder weiter in die Schweiz.

In der Schweiz ersuchte die Beschwerdeführerin um Asyl. Beim Dublin-Gespräch betonte die Beschwerdeführerin, dass sie seit den Erfahrungen in Griechenland an psychischen Problemen leide und auf Psychopharmaka angewiesen sei. Sie berichtete ebenfalls von ihrer Flucht und der sexuellen Gewalt, die sie erlitten hatte. Nichtsdestotrotz traf das Staatssekretariat für Migration (SEM) keine weiteren Abklärungen in diesem Kontext und ersuchte Kroatien um Rückübernahme der Beschwerdeführerin, was akzeptiert wurde. Das SEM erliess daraufhin einen Nichteintretensentscheid. Die dagegen erhobene Beschwerde wurde vom Bundesverwaltungsgericht (BVGer) abgewiesen. Der Beschwerdeführerin wurde inzwischen eine posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) diagnostiziert.

AsyLex brachte diesen Fall vor den UNO-Frauenrechtsausschuss und erhielt kurze Zeit später sogenannte Interim Measures, welche von der Schweiz fordern, den Vollzug der Rückführung während des Verfahrens vor dem Ausschuss auszusetzen.

Argumente SEM / BVGer

Das SEM argumentierte, dass es keine Hinweise gebe, dass es im kroatischen Asylverfahren und in den Aufnahmebedingungen für Asylsuchende systemische Mängel gebe, die das Risiko einer unmenschlichen Behandlung im Sinne von Art. 3 EMRK oder Art. 4 der EU-Grundrechtecharta mit sich brächten. Dublin-Rückkehrende seien von Push-backs nicht betroffen und nicht systematischer Gewalt durch die Polizei ausgesetzt. Kroatien sei ein funktionierender Rechtsstaat und die Beschwerdeführerin hätte in Kroatien Rechtsmittel ergreifen können. Trotz der PTBS und medizinischen Problemen der Beschwerdeführerin 1 und ihres Sohnes würde keine medizinische Notlage vorliegen und es sei nicht zu befürchten, dass sich der Gesundheitszustand der Beschwerdeführerin und ihrer Kinder bei einer Rückkehr nach Kroatien drastisch verschlechtern würde. Ausserdem seien die Gesundheitsstrukturen in Kroatien für die nötigen Behandlungen ausreichend.

Das BVGer stellte ebenfalls fest, dass das kroatische Asyl- und Aufnahmesystem keine systemischen Schwachstellen aufweisen würde. Wie bereits das SEM, argumentierte das BVGer, dass Kroatien Signatarstaat zahlreicher internationalen Konventionen sei und seinen internationalen Verpflichtungen nachkommen würde. Die Beschwerdeführerin hätte nicht erfolgreich dargetan, dass ein konkretes, reales Risiko der Verletzung des Non-Refoulements Gebots bestehe und dass die Bedingungen in Kroatien so prekär seien, dass sie Art. 3 EMRK, Art. 3 CAT und Art. 4 der EU-Grundrechtecharta verletzen würden. Angesichts des aktuellen Gesundheitszustandes der Beschwerdeführerin und ihrer Kinder seien keine zwingenden Gründe auszumachen, die zur Annahme führen würden, dass ihnen bei einer Überstellung nach Kroatien eine unmenschliche Behandlung im Sinne von Art. 3 EMRK drohen würde, so das BVGer.

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Marianne Aeberhard
Leiterin Projekt Zugang zum Recht / Geschäftsleiterin

marianne.aeberhard@humanrights.ch
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Bürozeiten: Mo/Di/Do/Fr

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