humanrights.ch Logo Icon

Ein menschenrechtliches NEIN zur Kündigungsinitiative

24.08.2020

In der Diskussion über die sogenannte «Begrenzungsinitiative», mit der die SVP die Personenfreizügigkeit kündigen und damit den bilateralen Weg untergraben will, ist viel von Wirtschaft und Wohlstand die Rede - zurecht. Doch im Kern geht es auch um Menschenrechte: Die Kündigungsinitiative macht nicht nur die Errungenschaft rückgängig, dass Migrierende Rechtsträger*innen und nicht Bittsteller*innen sind. Sie ist mittelbar auch eine Gefahr für das Asylwesen und den Familiennachzug.

Eine menschenrechtliche Einschätzung zur Kündigungsinitiative von Stefan Manser-Egli, Vorstandsmitglied von humanrights.ch und Co-Präsident von Operation Libero:

Die Personenfreizügigkeit ist eine freiheitliche, eine emanzipierende Errungenschaft, die es zu verteidigen lohnt. Der Weg dahin war steinig. Das Migrationsrecht war lange ein Rechtsgebiet voller Willkür, in dem Menschen kaum Ansprüche hatten. Die Behörden hatten praktisch unbegrenztes Ermessen - für Drittstaatsangehörige gilt das auch heute noch weitgehend. Ob jemand kommen durfte oder nicht, ob jemand arbeiten durfte oder nicht, ob jemand sein Pensum aufstocken, seinen Arbeitgeber wechseln, die Branche wechseln, den Kanton wechseln, seine Familie nachziehen, und irgendwann wieder gehen musste: All das war weitgehend dem Ermessen der Fremdenpolizei überlassen. Der Rechtsschutz gegen solche Entscheide war – wie dies heute noch für Drittstaatsangehörige und besonders im Asylwesen der Fall ist – stark eingeschränkt.

Das Risiko, jederzeit aus dem Land gewiesen zu werden, war eine konstante Lebenserfahrung von Ausländerinnen und Ausländern in der Schweiz. In manchen Fällen zog sich diese nagende Unsicherheit über Jahrzehnte hin. Über der Existenz eines Ausländers oder einer Ausländerin in der Schweiz hing permanent ein Damoklesschwert. Ein Wechselfall des Lebens, ein Unfall, der Verlust einer Arbeitsstelle, Sozialhilfeabhängigkeit, eine Trennung oder ein Todesfall in der Familie haben dazu geführt, dass eine ganze Lebenswelt in Frage stand. Viele Kinder waren illegal in der Schweiz, weil den Eltern der Nachzug nicht bewilligt wurde. Für Europäerinnen und Europäer hat die Personenfreizügigkeit das weitgehend überwunden. Die Personenfreizügigkeit schafft einen Raum der persönlichen Sicherheit und persönlicher Entfaltungsmöglichkeiten. Die Kündigungsinitiative will den Menschen diese Freiheit nehmen. Sie will das Recht auf Privatleben, das Recht auf Familienleben, die Niederlassungsfreiheit und die Wirtschaftsfreiheit empfindlich zurückbinden. In der Schweiz träfe dieser Rückbau von Grundrechten die Europäerinnen und Europäer und ihre Schweizer Angehörigen. In Europa träfe er Schweizerinnen und Schweizer und ihre europäischen Angehörigen. Kurz: Bei einem Ja zur Initiative hätten wir also eine Art Saisonnier-Statut zurück - mit all seinen menschenrechtlichen Rückschritten.

Doch damit nicht genug. Wenn wir die Initiative als das sehen, was sie für die Initianten ist, nämlich eine Durchsetzungsinitiative zur Masseneinwanderungsinitiative, dann dürfte der Rechteverlust noch weiter gehen. Dann nämlich würden sämtliche Bewilligungen des Ausländerrechts kontingentiert, wie es seit der Masseneinwanderungsinitiative in der Verfassung steht. Also nicht nur jene für die Zulassung zum Arbeitsmarkt, sondern auch jene für den Familiennachzug, für Rentnerinnen und Rentner, Studierende und Flüchtlinge. Diese Kontingentierung verstiesse gegen international geschützte Menschenrechte (insbesondere gegen das Recht auf Familienleben) und gegen die Flüchtlingskonvention. Dass die Initianten nach einem Ja nichtsdestotrotz darauf beharren würden, ist so sicher wie das Amen in der Kirche.

Aus menschenrechtlicher Sicht ist somit klar: Die Kündigungsinitiative stellt für den Rechtsschutz, die Aufenthaltssicherheit, die freie Berufswahl und das Recht auf Familienleben einen grossen Rückschritt dar. Sie gefährdet darüber hinaus mittelbar auch die Rechte von Drittstaatsangehörigen und von Asylsuchenden. Aus all diesen Gründen verdient sie ein wuchtiges Nein am 27. September.