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T.M.B. et al gegen die Schweiz

04.10.2023

Mitteilung Nr. 173/2021, Entscheid vom 15. Mai 2023

Der Ausschuss für die Beseitigung der Diskriminierung der Frau (CEDAW) ist der Ansicht, dass die Rückführung einer Frau in die Islamische Republik Iran durch die Schweiz gegen Artikel 1 bis 3, 15 und 16 des Übereinkommens zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau verstossen würde.

Die Beschwerdeführerin, Tahereh Mohammdi Bandboni, iranische Staatsbürgerin, war aus Angst vor Gewalt aus ihrem Land geflohen. Ihr Vater, der aufgrund der irakischen Herkunft und der sunnitischen Religion von A.T. gegen ihre Heirat mit ihm war, drohte unter anderem damit, die Beschwerdeführerin zu töten, wenn sie seine Ehre verletzen wird. Als der Vater und der Bruder der Beschwerdeführerin erfahren, dass diese schwanger ist, schlagen sie sie und wollen sie zur Abtreibung zwingen. Aus Angst, erneut misshandelt zu werden, ging die Beschwerdeführerin in den Irak, wo sie 2013 A.T. heiratete und 2014 ihr erstes Kind bekam. Im Mai 2015 beschaffte sich der Vater der Beschwerdeführerin in Begleitung eines Polizeibeamten über den Vater von A.T. die Kontaktangaben des Paares. Der Vater und der Bruder der Beschwerdeführerin drohten ihr mehrmals am Telefon, sie anzugreifen, wenn sie nicht allein in die Islamische Republik Iran zurückkehre. Da die Beschwerdeführerin mehrere Monate lang befürchtete, dass ihr Bruder in den Irak kommen und sie entführen würde, verliess sie mit ihrer Familie den Irak und kam 2016 in die Schweiz, wo sie einen Asylantrag stellte. Sie gibt an, dass sie in der Islamischen Republik Iran der unmittelbaren Gefahr von geschlechtsspezifischer Diskriminierung, Tod und Folter ausgesetzt wäre, sollte sie abgeschoben werden.

Am 21. Dezember 2018 lehnte das Staatssekretariat für Migration den Asylantrag der Familie ab, genauso wie 2021 das Bundesverwaltungsgericht (BVGer) ihre Beschwerde gegen den Entscheid abwies. Das BVGer anerkennt zwar, dass die Verfolgung und Misshandlung, die sie in der Vergangenheit erlitten hat, sowie die Risiken einer Misshandlung, denen sie in Zukunft ausgesetzt sein könnte, eine geschlechtsspezifische Dimension aufweisen. Er ist jedoch der Ansicht, dass diese Risiken nicht von den Behörden, sondern von Privatpersonen ausgehen und dass die iranischen Behörden sowohl bereit als auch in der Lage wären, die Beschwerdeführerin zu schützen, da laut dem BVGer die Ordnungskräfte und das Justizsystem im Iran ordnungsgemäss funktionieren.

In seiner Entscheidung kommt der Ausschuss zum Schluss, dass der Vertragsstaat das tatsächliche, persönliche und vorhersehbare Risiko der Beschwerdeführerin, Opfer schwerer Formen geschlechtsspezifischer Gewalt zu werden, wenn sie in die Islamische Republik Iran zurückgeschickt würde, nicht angemessen berücksichtigt hat. Einerseits betont er, dass die Verletzlichkeit der Beschwerdeführerin vom BVGer anerkannt wurde. Andererseits ist er der Ansicht, dass die anhaltende institutionelle Diskriminierung von Frauen und Mädchen im öffentlichen und privaten Leben im Iran, die im Zivil- und Strafrecht sowie in der Praxis der Islamischen Republik Iran verankert ist, nicht ausreichend berücksichtigt wurde. Diese Diskriminierung spiegelt patriarchale Werte und frauenfeindliche Verhaltensweisen wider, die bis in Bereiche des iranischen Familienlebens durchdringen. Zusätzlich wurde die Zurückhaltung der öffentlichen Gewalt, in Fällen von häuslicher Gewalt und Ehrenmorden einzugreifen, ebenfalls nicht ausreichend berücksichtigt. Der Ausschuss stellt fest, dass die geschlechtsspezifische Gewalt, ausgeübt durch staatliche Behörden, einschliesslich der Polizei, zunimmt.

Daher fordert der Ausschuss die Schweizer Behörden auf, davon abzusehen, die Beschwerdeführerin und ihre Familie zwangsweise in den Iran zurückzuschicken, und generell in Erwägung zu ziehen, in der Asylgesetzgebung die Begriffe Geschlecht oder Gender in die Liste der Gründe für die Gewährung des Flüchtlingsstatus aufzunehmen.