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A.N. gegen die Schweiz

17.09.2018

Mitteilung Nr. 742/2016, Entscheid vom 3. August 2018

Der UN-Ausschuss gegen Folter (CAT) hat einen wegweisenden Entscheid gefällt. Es untersagt die Überstellung eines Eritreers nach Italien, der in seinem Heimatland gefoltert wurde. Da der Zugang zur medizinischen Versorgung nicht gewährleistet sei, käme ein Überstellung im Rahmen des Dublin-Verfahrens einer unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung und somit einer Verletzung der UNO-Antifolterkonvention gleich.

Der Fall A.N.

Der Beschwerdeführer, A.N., ist Eritreer. Im September 2015 ersuchte er in der Schweiz um Asyl. Er war in seinem Heimatland während fünf Jahren inhaftiert - teilweise in Isolationshaft - und wurde immer wieder verhört und gefoltert. Aufgrund dieser Erlebnisse ist er schwerstens traumatisiert und benötigt medizinische Behandlung. Medizinische Berichte des Genfer Universitätsspitals bestätigen, dass A.N. unter schweren körperlichen und psychologischen Einschränkungen leidet, die auf Folter zurückzuführen sind.

Fehlende Abklärungen durch die Schweizer Behörden

Obschon A.N. in der Schweiz medizinische Hilfe erhielt, ignorierten die Schweizer Behörden seine medizinischen Bedürfnisse, als es um den Wegweisungsentscheid nach Italien gemäss Dublin-Verordnung ging. Es wurden keine individuellen Abklärungen getätigt, um sicherzustellen, dass A.N. in Italien Zugang zu angemessener medizinischer Behandlung hat. Stattdessen ordnete das Staatssekretariat für Migration SEM seine Wegweisung an. Das Bundesverwaltungsgericht stützte diesen Entscheid zweimal.

Beschwerde beim UN-Ausschuss gegen Folter

Das CSDM (Centre Suisse pour la Défense des Droits des Migrants) erhob daraufhin Beschwerde beim UN-Ausschuss gegen Folter. Es argumentierte, durch die Überstellung werde das Recht auf Rehabilitation (Art. 14 Antifolterkonvention) verletzt, weil A.N. in Italien der Zugang zu spezialisierter medizinischer Behandlung verwehrt würde. Die Überstellung sei unmenschlich und verletze folglich Artikel 3 und 16 des Übereinkommens.

Ausschuss stellt potentielle Verletzung des Non-Refoulement-Gebots fest

Der Ausschuss hält in seinen Schlussfolgerungen vom 3. August 2018 fest, dass die Schweizer Behörden die möglichen Folgen einer zwangsweisen Überstellung hätten untersuchen müssen. Es bestehe eine erhebliche Gefahr, dass A.N. in Italien der Zugang zur notwendigen medizinischen Behandlung verwehrt würde. Zudem würde er durch die Überstellung von seinem in der Schweiz lebenden Bruder getrennt. Dadurch ginge das stabilisierende Umfeld verloren, welches für eine Behandlung der bestehenden posttraumatischen Belastungsstörung zentral sei. Der Ausschuss kommt zum Schluss, dass Artikel 3, 14 und 16 der Antifolterkonvention durch die Überstellung verletzt würden und fordert die Schweiz auf, das Asylgesuch von A.N. selbst zu prüfen.

Kommentar

Der Entscheid des Ausschusses stellt klar, dass die Dublin-Verordnung menschenrechtskonform angewendet werden muss. Der Fall A.N. zeigt exemplarisch auf, dass gerade bei schwerwiegenden medizinischen Problemen auch im Rahmen des Dublin-Verfahrens eine Einzelfallprüfung im Hinblick auf die Zumutbarkeit der Wegweisung unumgänglich ist. Die Ausweisung besonders verletzlicher Personen kann eine unmenschliche Behandlung darstellen, weshalb das Non-Refoulement-Gebot zur Anwendung kommt.

Die Entscheide des CAT sind rechtlich nicht verbindlich, jedoch autoritativ. Die Schweiz hat mit der Ratifikation der Antifolterkonvention die Zuständigkeit des CAT für das Individualbeschwerdeverfahren freiwillig akzeptiert. Die Schweizer Behörden sind nun gehalten, alle laufenden Verfahren unter Berücksichtigung der Feststellungen des Ausschusses zu prüfen und gegebenenfalls auf eine Überstellung zu verzichten.

Dokumentation