27.09.2016
Asylsuchende müssen im Asylverfahren ihre Fluchtgründe glaubhaft machen (Art. 7 AsylG). Das heisst: Sie müssen nicht beweisen, dass sie verfolgt wurden und ihnen im Falle einer Rückkehr ernsthafte Nachteile drohen, sondern es reicht, wenn sie dies glaubhaft machen. Damit wird den erschwerenden Umständen Rechnung getragen, in denen sich die Person befindet. In einer Fluchtsituation können Beweismittel wie Dokumente verloren gehen und/oder später nur schwer zu beschaffen sein.
Die Glaubwürdigkeitsprüfung steht im Zentrum des Asylverfahrens. Das Asylgesetz beschreibt gewisse Kriterien für die Unglaubhaftigkeit einer Aussage. Unglaubhaft sind gemäss Artikel 7 Abs. 3 AsylG insbesondere Vorbringen, die in wesentlichen Punkten zu wenig begründet oder in sich widersprüchlich sind, den Tatsachen nicht entsprechen oder massgeblich auf gefälschte oder verfälschte Beweismittel abgestützt werden.
Objektive Kriterien für die Glaubwürdigkeitsprüfung fehlen jedoch. Gemäss Asylgesetz gilt die Flüchtlingseigenschaft als glaubhaft gemacht, «wenn die Behörde ihr Vorhandensein mit überwiegender Wahrscheinlichkeit für gegeben hält». Die beurteilende Person hat so bei der Glaubwürdigkeitsprüfung einen sehr grossen Ermessensspielraum. Die Beurteilung der Glaubwürdigkeit einer Person oder der Glaubhaftigkeit einer Aussage wird von unzähligen subjektiven Eindrücken geprägt.
Die Aussagen der Person dürfen zudem nicht isoliert betrachtet werden, sondern sind vielmehr in den Kontext der Menschenrechtslage im jeweiligen Herkunftsland zu stellen. Von den Behörden wäre ein doppelter Blick auf die individuellen Vorbringen und die allgemeine Situation im Herkunftsstaat gefordert. Dem wird oft zu wenig Rechnung getragen und vorschnell aufgrund von bestehenden Widersprüchen in den Aussagen auf die Unglaubhaftigkeit der Aussagen geschlossen.
Das UNHCR hat zum Thema der Glaubhaftigkeit im Asylverfahren in drei europäischen Staaten (Belgien, Großbritannien, Niederlande) eine umfassende Studie durchgeführt und festgestellt, dass kein einheitliches Verständnis darüber besteht, wie Glaubwürdigkeit im Asylverfahren einzuschätzen ist. Gemäss UNHCR müssen für die Glaubwürdigkeitsprüfung im Asylverfahren folgende Elemente miteinbezogen werden:
Der individuelle und kontextuelle Hintergrund der Schilderungen von Asylsuchenden wie bspw. die Grenzen des menschlichen Erinnerungsvermögens, die Auswirkungen von Traumata, von Angst und Misstrauen gegenüber von Behörden sowie von Stigmatisierungen müssen Beachtung finden. Auch Faktoren, welche die Entscheidungsträgerinnen und -träger beeinflussen, müssen berücksichtigt werden (u.a. das Problem von Entscheidungen «aus dem Bauch heraus»). Es sollten klare Indikatoren für die Bewertung der Glaubwürdigkeit und die Bewertung des Verhaltens von Antragstellerinnen und Antragstellern aufgestellt und die Herangehensweise an die Bewertung der Glaubwürdigkeit festgelegt werden.
Weitere Informationen
- Beyond Proof Credibility Assessment in EU Asylum Systems
UNHCR, Mai 2013 (pdf, 290 S., englisch) - «Ihren Schilderungen fehlt es an Realkennzeichen!»
Freiplatzaktion Zürich (pdf, S. 5) - Die Herstellung von Glaubwürdigkeit und Unglaubwürdigkeit im Asylverfahren
Bachelorarbeit von Sarah Besch, 2012 (pdf, 45 S.) - Glaubwürdigkeit eines Iraners betreffend Misshandlungsgefahr im Fall der Rückführung in sein Heimatland
M. A. gegen die Schweiz, EGMR Urteil vom 18.11.2014, Kammer II, Bsw. Nr. 52.589/13 (deutsche Übersetzung) - Glaubhaftigkeit im Asylverfahren
Jubiläumsbericht der Schweizerischen Beobachtungsstelle für Asyl- und Ausländerrecht, Januar 2018 (Bestellformular)