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Interamerikanischer Gerichtshof für Menschenrechte

Geschichtlicher Hintergrund

Auf einer Konferenz von OAS-Delegierten in Costa Rica im November 1969 wurde die Amerikanische Menschenrechtskonvention erlassen, die 1978 in Kraft trat. Für die Überwachung und Durchsetzung der Menschenrechte sah die Charta zwei Organe vor: die Interamerikanische Kommission für Menschenrechte und den Interamerikanischen Gerichtshof für Menschenrechte. Im Gegensatz zur Kommission konnte der Gerichtshof seine Arbeit jedoch erst mit dem Inkrafttreten der Menschenrechtkonvention 1978 aufnehmen. Im Mai 1979 wurden schliesslich die ersten Richter von den Mitgliedsstaaten der Amerikanischen Menschenrechtskonvention gewählt. Der Antrag Costa Ricas, den Sitz des Gerichtshofs in San José zu errichten, wurde im selben Jahr gutgeheissen. Am 3. September 1979 wurde er feierlich eröffnet.

Zusammensetzung und Arbeitsweise

Der Gerichtshof besteht aus sieben Richern/-innen, welche die Staatsangehörigkeit eines der OAS-Mitgliedsstaaten haben müssen; ihr Herkunftsland muss die AMRK allerdings nicht ratifiziert haben (aktuelle Zusammensetzung). Die Abstimmung erfolgt geheim mit absolutem Mehr durch die Mitgliedsstaaten der AMRK. Die Amtszeit beträgt sechs Jahre und eine Wiederwahl ist möglich. Zusätzlich kann der am Verfahren beteiligte Staat eine/n ad hoc-Richter/-in bestellen, wenn keiner der ständigen Richter die Staatsangehörigkeit dieses Staates besitzt.

Der Gerichtshof tagt innerhalb ordentlicher und ausserordentlicher Sitzungsperioden, er ist somit kein ständiger Gerichtshof. Die Richter/-innen üben nur eine Teilzeittätigkeit aus und erhalten keine regelmässigen Gehaltszahlungen, sondern lediglich eine Aufwandsentschädigung. Die geforderte Unabhängigkeit und Neutralität darf jedoch durch ihre anderen Tätigkeiten nicht gefährdet werden.

Aufgaben

Neben der Schiedsgerichtsfunktion gehört die Beratungsfunktion zu den Hauptaufgaben des Gerichtshofs. Einzelpersonen und NGO ist es nicht möglich, direkt an den Interamerikanischen Gerichtshof für Menschenrechte zu gelangen. Einen Fall vorlegen können nur die Interamerikanische Kommission für Menschenrechte oder Vertragsstaaten. Voraussetzung ist, dass der Vertragsstaat sich der Gerichtsbarkeit des Gerichtshofs unterworfen hat. Bis heute sind es 25 Staaten (Stand November 2020). Die damit verbundene Erklärung kann auch bestimmte Vorbehalte beinhalten oder für einzelne Fälle ad hoc erklärt werden. Die Urteile sind endgültig und für den beteiligten Staat verbindlich. Zudem hat der Gerichtshof die Befugnis, Gutachten zu verfassen, was in den ersten Jahren seines Bestehens einen Tätigkeitsschwerpunkt darstellte.

Beschwerdeverfahren

Im amerikanischen Modell ist dem Gerichtshof die Menschenrechtskommission vorgeschaltet. Die Beschwerden von Individuen und Organisationen können nur bei der Interamerikanischen Kommission für Menschenrechte eingereicht werden, die die Klage auf ihre Gültigkeit hin überprüft. Eine direkte Anrufung des Gerichts, wie dies beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte EGMR der Fall ist, ist nicht möglich.

Der Gerichtshof ist befähigt, den Fall auch in Abwesenheit des betroffenen Staates abzuschliessen. Das Urteil ist endgültig und unanfechtbar. Die Vollstreckung erfolgt nach innerstaatlichen Regeln. Dabei sind die Staaten durch die AMRK verpflichtet, innerstaatlich eine effektive Umsetzung der Wiedergutmachungsmassnahmen zu gewährleisten.

Gutachtenverfahren

Das Gericht hat zudem die Kompetenz, Gutachten zu verfassen, wenn es von einem Mitgliedsstaat der OAS oder eines der in Kapitel VIII der OAS-Charta genannten Organe dazu ersucht wurde. Auch sind Rechtsguthaben möglich, die über die Verträglichkeit nationaler Rechtsordnungen mit der AMRK Aufschluss geben. Solche Gutachten zu Auslegungsfragen haben teilweise eine wichtige Bedeutung in der Weiterentwicklung des Menschenrechtsschutzes auf dem amerikanischen Kontinent. In dem Verfahren gibt es weder Beklagte noch Sanktionen; die im Gutachten getroffenen Entscheidungen sind nicht rechtlich bindend. Entscheidend sind vielmehr die politischen und moralischen Auswirkungen.

Kritische Würdigung

Bedauerlicherweise haben nicht alle amerikanischen Staaten die AMRK ratifiziert. Zudem haben nicht alle Mitgliedsstaaten der AMRK die Zuständigkeit des Gerichtshofs anerkannt. Da nur die Kommission oder die betroffenen Staaten befugt sind, Beschwerden dem Gerichtshofs vorzuweisen, konnte dieser bis anhin relativ wenige Urteile fällen. Da der Gerichtshof nicht über einen politischen Durchsetzungsmechanismus verfügt, gilt das System gemeinhin als ineffizient. Eine grundlegende Reform ist dringend nötig, was aber den politischen Willen der Mitgliedsstaaten voraussetzt.