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Die Politik tut sich schwer mit einem rechtlichen Schutz für Whistleblower

24.06.2016

Die Offenlegung von Missständen durch einen Arbeitnehmer gegenüber seiner Arbeitgeberin, einer Behörde oder der Öffentlichkeit wird im arbeitsrechtlichen Kontext als Whistleblowing verstanden. Hinweisgeber/innen nehmen mit ihrem Handeln hohe Risiken wie den Verlust des Arbeitsplatzes, eine strafrechtliche Verfolgung und soziale Ächtung in Kauf.

Das schweizerische Recht regelt Whistleblowing nicht explizit. Die im Zusammenhang mit Whistleblowing stehenden Rechtsfragen müssen anhand der bestehenden Gesetzesbestimmungen in den unterschiedlichen Rechtsgebieten beantwortet werden. Insbesondere das Arbeits-, Straf- und Datenschutzrecht geben Leitlinien vor und setzen rechtliche Schranken.

Die gesetzgeberischen Bemühungen für einen verbesserten Schutz von Whistleblowern im Arbeitsrecht laufen seit dem Jahre 2003 und haben bis heute zu keinem greifbaren Resultat geführt. Im September 2015 hat das Parlament den Ball wieder dem Bundesrat zurückgegeben.

Whistleblowing und die Meinungsäusserungsfreiheit

Aus Sicht der Menschenrechte ist der Umgang mit Whistleblowern relevant, weil diese sich auf ihr Recht auf Meinungsäusserungsfreiheit berufen können. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) beschäftigte sich im Zusammenhang mit der Meinungsäusserungsfreiheit mehrmals mit der Frage der Meldung von Unregelmässigkeiten.

Der EGMR befand einerseits, der Anwendungsbereich von Artikel 10 EMRK erstrecke sich auch auf die Weitergabe von Informationen und die Meldung eines mutmasslich rechtswidrigen Verhaltens in einem privatrechtlichen Arbeitsverhältnis. Andererseits hat der EGMR in seinen Erwägungen auch das Ansehen des Arbeitgebers und dessen Geschäftsinteressen als legitimen Zweck anerkannt.

Eine allfällige Einschränkung des Rechts auf Meinungsäusserungsfreiheit muss deshalb einer sorgfältigen Verhältnismässigkeitsprüfung unterzogen werden. Relevante Kriterien für die (Un-)Zulässigkeit eines Eingriffs in die Meinungsäusserungsfreiheit im Falle von Whistleblowing sind gemäss EGMR: das öffentliche Interesse an den Informationen, die weniger einschneidenden Mittel, die für die Bekanntgabe zur Verfügung standen, die Glaubwürdigkeit der Informationen, die Beweggründe der Arbeitnehmer/innen, das Ausmass des Schadens, der dem Arbeitgeber entstanden war, im Vergleich zum Interesse an der Offenlegung sowie die Schwere der Sanktion gegen den Arbeitnehmer oder die Arbeitnehmerin.

Vorstösse zur Verbesserung des Schutzes von Whistleblowern im Strafrecht

Am 13. Juni 2016 hat der Ständerat einen Vorstoss von Claude Janiak (SP/BL) angenommen, um Whistleblower in der Verwaltung vor Strafe zu schützen. Janiak will den Bundesrat mit einer Änderung des Strafgesetzbuches beauftragen. Demnach soll eine Verletzung des Amtsgeheimnisses nicht strafbar sein, wenn sie einem überwiegenden öffentlichen Interesse dient. Janiak argumentierte, das Amtsgeheimnis in der heutigen Form verhindere Behördenkooperation und Whistleblowing. Für Staatsangestellte sei oft nicht klar, welche Datenweitergabe an andere Behördenmitglieder erlaubt sei und wann sie womöglich ein Delikt begingen.

Bereits im Jahr 2012 war vom damaligen Nationalrat (und heutigem Zürcher Stadtrat) Filippo Leutenegger eine parlamentarische Initiative zur Verbesserung des Whistleblowerschutzes im Strafrecht eingereicht worden. Danach soll das Strafgesetzbuch (StGB) dahingehend ergänzt werden, dass unter einen Straftatbestand fallende Handlungen, die verübt werden, um höhere, berechtigte öffentliche Interessen zu wahren, straflos bleiben. Die Initiative wurde in den Rechtskommissionen des National- und Ständerates zwar bereits zustimmend behandelt; die Beratungen in den beiden Räten haben jedoch noch nicht stattgefunden.

Gesetzgeberische Bemühungen im Arbeitsrecht (Teilrevision Obligationenrecht)

Seit 2003 sind im Arbeitsrecht gesetzgeberische Bemühungen für einen besseren Schutz von Whistleblowern im Gang. Einerseits soll der Schutz bei Meldungen von Missständen am Arbeitsplatz gesetzlich festgehalten, andrerseits der Kündigungsschutz bei missbräuchlicher Kündigung verstärkt werden.

Der Bundesrat hatte im November 2013 erste Vorschläge für eine Revision des Obligationenrechts (OR) im Bereich Whistleblowing verabschiedet. Das Revisionsprojekt ist seine Antwort erstens auf den Auftrag, den ihm das Parlament als Folge der Motion Gysin im Jahre 2005 erteilt hat, und zweitens auf Empfehlungen von internationalen Organisationen. Die Vorschläge des Bundes gehen nach Ansicht von Experten/-innen weniger weit als erhofft. Sie sind etwa für eine ernsthafte Bekämpfung der Korruption ungenügend, wie Transparency Schweiz moniert.

Das Parlament begrüsste in den Beratungen 2014 und 2015 zwar die Stossrichtung der Vorlage. Dennoch hat es die Vorlage an den Bundesrat zurückgewiesen, mit dem Auftrag, sie zu vereinfachen. Diese bedeutet einen Rückschlag im Bemühen, den rechtlichen Schutz für Whistleblower zu verbessern.

Die Vorschläge des Bundesrats von 2013

Der Bundesrat hielt in seiner Botschaft vom November 2013 fest, dass mit der heutigen Regelung ein Mangel an Berechenbarkeit besteht. Die neuen Bestimmungen im Obligationenrecht sollen deshalb mehr Klarheit bringen und festlegen, wann eine Meldung eines Arbeitnehmenden in der Privatwirtschaft zulässig ist.

Es soll die Regel gelten, dass eine Meldung zulässig ist, wenn sie zunächst an den Arbeitgebenden erfolgt ist. Dieser soll vorerst die Möglichkeit erhalten, selbst gegen die Missstände vorzugehen. Reagiert er nicht innert 60 Tagen auf die Meldung, wären Whistleblower laut der Vorlage berechtigt, ihre Beobachtungen einer zuständigen Behörde mitzuteilen. Allerdings wäre die Bekanntgabe an die Behörden nur zulässig, sofern es sich bei den geltend gemachten Missständen um Straftaten oder andere Verstösse gegen das öffentliche Recht handelt. Nur als ultima ratio dürfte sich der Whistleblower an die Öffentlichkeit wenden.

In Ausnahmefällen darf direkt die Behörde einbezogen werden

Laut den Vorschlägen des Bundesrats darf sich ein Hinweisgebender nur in Ausnahmefällen direkt an zuständige Behörden wenden, etwa wenn eine Arbeitnehmende damit rechnen kann, dass ihre Meldung an den Arbeitgebenden nichts bewirken würde. Weiter wäre eine direkte Meldung möglich, wenn Arbeitnehmende aufgrund von objektiven Tatsachen zum Schluss kommen müssen, dass ohne sofortige Benachrichtigung die zuständige Behörde in ihrer Tätigkeit behindert wird. Schliesslich ist eine direkte Information der Behörde erlaubt, sofern eine unmittelbare und ernsthafte Gefährdung des Lebens, der Gesundheit, der Sicherheit oder der Umwelt droht.

Verboten wird, dass sich ein Hinweisgeber direkt an die Öffentlichkeit wendet. Selbst wenn ein Whistleblower das Vorgehen der Behörde als unzureichend oder wirkungslos erachtet, darf er nicht an die Öffentlichkeit gelangen. Die Öffentlichkeit darf nur unter der Bedingung einbezogen werden, wenn die zuständige Behörde den Whistleblower trotz dessen ausdrücklichen Verlangens nicht über ihr weiteres Vorgehen orientiert.

Kein besserer Kündigungsschutz

Keine neue Regelung wollte der Bundesrat im Bereich des Kündigungsschutzes. Ursprünglich sah der Bundesrats-Entwurf eine 12-monatige Weiterzahlung des Lohnes vor, sofern ein Whistleblower wegen den Hinweisen gegen seinen Arbeitgebenden die Kündigung erhält. Eine solche Kündigung gilt bereits nach heutigem Recht als missbräuchlich. Der Arbeitgebende wird in einem solchen Fall sanktioniert und muss dem Whistleblower maximal sechs Monatslöhne zahlen.

Gegen die heutige Regelung spricht, dass Whistleblower nach einer solchen Kündigung Mühe bekunden, eine neue Stelle zu finden. Gewerkschaften forderten bisher vergeblich, dass missbräuchliche Kündigungen ungültig sein sollten. In der Vernehmlassung zur Revision des ORs im Bereich Kündigungsschutz wehrten sich Wirtschaftskreise allerdings auch gegen den Kompromiss einer 12-monatigen Weiterzahlung des Lohnes. Schliesslich verzichtete der Bundesrat auf das Vorhaben.

Regelung im Bundespersonalgesetz

Von einer allfälligen Verbesserung des Informantenschutzes im Obligationenrecht würden ausschliesslich Arbeitnehmer/innen in der Privatwirtschaft profitieren. Zwar können Bund, Kantone und Gemeinden Anstellungsverhältnisse sowohl auf öffentlich-rechtlicher wie auch auf privatrechtlicher Grundlage abschliessen. Für die überwiegende Anzahl der Arbeitsverhältnisse in der Verwaltung gelten jedoch die Regeln des jeweiligen öffentlichen Personalrechts. Es gilt also, zwischen privatrechtlichen (OR) und öffentlich-rechtlichen (Personalgesetze, Personalverordnungen) Arbeitsverhältnissen zu unterscheiden.

Für Bundesangestellte besteht seit dem 1. Januar 2011 in Art. 22a Bundespersonalgesetz eine ausdrückliche Regelung über Melderecht und Meldepflicht bei festgestellten Missständen. Ein Bericht der OECD, der im Januar 2012 veröffentlicht worden war, lobte diesen Schritt des Bundes. Er forderte aber zugleich besseren Schutz von Whistleblowern in der Privatwirtschaft.

Unabhängige Meldestellen

Experten/-innen betonen, es brauche für Whistleblowing unabhängige Meldestellen, die eine gewisse Eigenständigkeit und Autorität aufweisen sowie Zugang zu den Unternehmensführungen haben und welche eine strikte Vertraulichkeit der Meldungen garantieren könnten. Für kleinere Unternehmen müsse man auf Branchenebene unabhängige Meldestellen schaffen.

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