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Erste Berichte der Nationalen Kommission zur Verhütung von Folter

13.01.2011

Die Kommission zur Verhütung von Folter (NKVF) hat ihre ersten Berichte veröffentlicht. Diese beziehen sich auf Besuche von Kommissionsmitgliedern in Hafteinrichtungen in den Kantonen Wallis und Bern im Frühsommer 2010. Die NKVF kritisiert für die besuchten Hafteinrichtungen (Frauengefängnis Hindelbank, Untersuchungsgefängnis Brig und Ausschaffungszentrum Granges) je einzelne Punkte und regt Verbesserungen an. Die Anregungen ergeben sich aus der Antifolterkonvention der UNO, welche die Schweiz ratifiziert hat. Diese verpflichtet die Vertragsstaaten, alle geeigneten Massnahmen zur Verhinderung und Ahndung von Folter bzw. anderer grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe zu ergreifen. Sie fordert damit, dass der Staat alle Personen, denen die Freiheit entzogen ist, vor Angriffen auf ihre körperliche und seelische Integrität schützt.

In den untersuchten kantonalen Haftanstalten seien keine Anzeichen von Folter festgestellt worden, bestätigte Sandra Imhof, die Leiterin des Sekretariats der NKVF gegenüber der NZZ. Allerdings konnten die Kontrolleure der NKVF in allen drei Hafteinrichtungen Praktiken beobachten, welche mit Blick auf internationale Abkommen problematisch sind.

Frauengefängnis in Hindelbank: Kritik an Isolationshaft

So schreibt die NKVF etwa zu den Umständen der Isolationshaft von zwei psychisch kranken Insassinnen in Hindelbank, das Niveau der Isolation sei aus menschlicher, rechtlicher und medizinischer Sicht kaum zu rechtfertigen und stehe zudem einer positiven Entwicklung der Insassinnen absolut entgegen. Sie empfiehlt deshalb eine intensivere Betreuung der Verwahrten, mehr menschliche Kontakte und dass die Sicherheitsmassnahmen den reellen Risiken angepasst werden sollen, bzw. dass für die Sicherheit eher mehr personelle Präsenz statt technische Mittel sorgen soll. Die NKVF gibt im Bericht zu Hindelbank darüber hinaus dem Zweifel Ausdruck, dass eine Strafvollzugsanstalt der richtige Ort ist für den Vollzug von stationären therapeutischen Massnahmen (im Sinne der Artikel 59 und 60 StGB). Die Kommission bekräftigt die Meinung, dass das Verhängen von solchen Massnahmen und deren Vollzug in Strafvollzugsanstalten generell und gesamtschweizerisch überdacht werden müsste. Weitere Kritikpunkte im Bericht zu Hindelbank sind, dass jugendliche Insassinnen nicht die Gelegenheit erhalten eine Lehre (nicht nur Anlehre) zu machen und dass bei Sanktionen teilweise zu wenig auf die Gewährung des rechtlichen Gehörs geachtet wird.

Untersuchungsgefängnis in der Polizeistation von Brig: Problematische Leibesvisitationen

Erniedrigend sind gemäss NKVF die Leibesvisitationen bei männlichen Häftlingen im Untersuchungsgefängnis von Brig. Bei ihrem Besuch stellten die Kontrolleure fest, dass sich alle Häftlinge komplett ausziehen und sich dann nackt gegen eine Wand bücken müssen, worauf ihr Anus visuell auf Drogen untersucht wird. Dass diese Massnahme systematisch angewandt wird, beanstandet die NKVF als unverhältnismässig und erwähnt sie als erniedrigende Behandlung. Deshalb empfiehlt die NKVF: «Bei Leibesvisitationen und Inhaftierungen soll darauf geachtet werden, dass die Würde der Insassen nicht unverhältnismässig verletzt wird.» Erniedrigend ist zudem die Praxis bei kurzen Transporten im Kanton. Es bestehe eine undifferenzierte Regel der Fesselung mit Handschellen, weshalb es an Diskretion mangle. «Es sei entwürdigend dem Blick der gaffenden Öffentlichkeit in den Strassen von Brig oder in den Wartesälen der Spezialärzte ausgesetzt zu sein. Uniformierte Begleitung handgefesselter Personen durch stark bevölkerte Plätze und Strassen sind zu vermeiden, ebenso deren Aufenthalt in Wartesälen und dergleichen», schreibt die NKVF in ihrem Bericht weiter. Beunruhigend ist demnach ferner, dass ein Häftling seit 2½ Jahren in Untersuchungshaft sitzt. Die Kommission erinnert deshalb die Behörden an das Beschleunigungsgebot, welches ein Grundrecht ist (Art. 31 Abs. 3 BV). Negativ erwähnt werden im Bericht weitere Punkte, etwa dass es keine klare Trennung zwischen Untersuchungshäftlingen und Ausschaffungshäftlingen gebe (Art. 81 AuG), dass die Vertraulichkeit der Gespräche mit dem Arzt nicht sicher gestellt sei und dass mangels Fremdsprachenkenntnissen der Mitarbeiter Verständigungsprobleme und mangelnder sozialer Kontakt ausländischer Insassen auftreten.

Ausschaffungsgefängnis in Granges: Ausgeprägter Gefängnischarakter

Die NKVF bemängelt, dass im kantonalen Ausschaffungsgefängnis adäquate Haftplätze für weibliche Ausschaffungshäftlinge fehlen. Diese würden deshalb nur in Brig oder Martigny untergebracht, obwohl sie von anderen Haftregimes systematisch getrennt werden sollten. Bei minderjährigen Ausschaffungshäftlingen präsentiert sich, wie aus dem Bericht zu schliessen ist, die Lage ähnlich problematisch. Die NKVF hält zudem das Haftregime für streng und kritisiert die materiellen Haftbedingungen der Ausschaffungshäftlinge, welche lediglich aus ausländerrechtlichen Gründen festgehalten werden. Zum Haftregime steht im Bericht: «Die Insassen befinden sich in Zweierzellen mit Stehtoiletten und verfügen demnach über keine Rückzugsmöglichkeiten und keine Intimsphäre. Es bestehen wenige Sozialkontakte ausser denjenigen mit dem Zellengenossen, was als belastend empfunden wird. Dies ist insbesondere bei langer Haftdauer der Fall. Vor dem Hintergrund, dass die Insassen keine Straftäter sind, sollten Massnahmen zur Lockerung der Haftbedingungen getroffen werden. Nach Möglichkeit sollten Einzelzellen mit normalem WC zur Verfügung stehen.» Unter dem Stichwort «erniedrigende Behandlungen» erwähnt die NKVF Klagen von Insassen, dass sie bei ärztlichen Besuchen an den Händen gefesselt würden. Im Einzelfall sei deshalb die Notwendigkeit der Fesselung im Lichte der Verhältnismässigkeit und der konkreten Fluchtgefahr zu prüfen, empfiehlt die NKVF dazu. Ferner hält der Bericht fest, dass die Häftlinge an rund 20 Stunden pro Tag in den Zellen eingeschlossen sind und fordert mehr Bewegungsfreiheit. Auch fehlen geeignete Beschäftigungsmöglichkeiten. Der Bericht erwähnt weitere problematische Punkte, etwa im Bereich der medizinischen Versorgung der Häftlinge, wobei insbesondere deren psychische Befindlichkeit bei den Kontrolleuren einen negativen Eindruck hinterliess. Die NKVF empfiehlt deshalb die Einrichtung einer fachpsychiatrischen Betreuung sowie die Schaffung einer Stelle für Sozialarbeit.

Kommentar

Beide Kantonsregierungen haben zu den Empfehlungen Stellung genommen. Es fällt auf, dass der Kanton Wallis in seiner Stellungnahme erfreulicherweise konkrete Massnahmen ankündigt. Der Kanton Bern reagiert demgegenüber mit mehr Distanz und kritisiert insbesondere die Darlegungen der NKVF bezüglich der Isolationshaft. Dennoch bleibt zu hoffen, dass die Zuständigen in den Kantonen die Empfehlungen als konstruktive Anregungen annehmen und sich der Kritik an ihrer Arbeit auch in Zukunft nicht verschliessen. Die Hinweise der Kommission sind im Sinne eines Verbesserungsprozesses der Menschenrechtssituation in Haftanstalten zu verstehen und bezwecken sicher nicht, dass Verantwortungsträger/innen in einzelnen Haftanstalten oder Behördenmitglieder öffentlich beschuldigt oder gar beschämt werden. Berichterstattungen wie sie von Newsnetz über einige Websiten von Tageszeitungen unter dem Titel «Die übelsten Gefängnisse der Schweiz» erfolgten, sind in diesem Sinne bedauerlich. Erfreulich ist hingegen, dass die Kommission bei den Verantwortlichen in den Gefängnissen auf Wohlwollen stiess. Diese erkennen in der NKVF richtigerweise die Chance, nicht nur die Rechte der Insassen zu schützen, sondern auch für ihren Arbeitsbereich bessere Bedingungen zu erreichen. Auffallend ist etwa, dass in allen Berichten ein Ressourcenproblem festgestellt wird und für eine menschenwürdige Betreuung in allen drei Haftinstitutionen offenbar unter anderem die personellen Mittel kaum genügen. Dem können schliesslich nur politische Grundsatzentscheide Abhilfe verschaffen.

Dokumentation

    Quellen

    Medienberichte